Nachweis individueller kind- oder elternbezogener Gründe für Anspruch auf nachehelichen Betreuungsunterhalt
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 15.09.2010
Norm: §§ 1570, 1578b BGB
Schlagworte:
nachehelicher Betreuungsunterhalt, Feststellung individueller kind- oder elternbezogender Gründe statt starrem Altersphasenmodell, Vorrangstellung kindgerechter anderweitiger Betreuungsmöglichkeiten vor persönlicher Betreuung, kein abrupter Wechsel sondern von individuellen Umständen abhängige Entwicklung von elterlicher Betreuung bis hin zur Vollzeiterwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils
Redaktionelle Zusammenfassung
Die geschiedenen Eltern eines im Jahre 2000 geborenen gemeinsamen Kindes streiten um den nachehelichen Betreuungsunterhalt, den der Vater an die Mutter zahlen soll. Während der Vater der Meinung ist, dass der Mutter kein Betreuungsunterhalt zustehe, da sie aufgrund der umfassenden Betreuungs-möglichkeiten für das Kind durch Schule und Hort statt einer Teilzeit- einer Vollzeittätigkeit nachgehen könne, gab das Amtsgericht dem Antrag der Mutter auf Betreuungsunterhalt statt mit der Begründung, dass sich aus der neuen gesetzlichen Regelung keine Verpflichtung der Eltern ergebe, ihr Kind von 8.00 Uhr morgens bis 18.00 Uhr abends durch dritte Personen betreuen zu lassen. Das Kammergericht Berlin wies die gegen das Urteil eingelegte Berufung aus denselben Gründen zurück und fügte noch hinzu, dass neben Schule und Hort keine andere zumutbare Betreuungsmöglichkeit vorhanden sei, insbesondere nicht der Vater in Betracht komme, weil die Zumutbarkeit an dem nicht aufgearbeiteten Elternkonflikt scheitere.
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Kammergerichts aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurückverwiesen. Das Kammergericht habe sich bei seiner Entscheidungsfindung zu starr an dem durch die gesetzliche Neuregelung überholten Altersphasenmodell orientiert und den Vater vorschnell als Betreuungsperson ausgeschlossen. Grundsätzlich sei auch der barunterhalts-pflichtige Elternteil als Betreuungsperson in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet. Maßstab hierfür sei auch im Rahmen des § 1570 BGB das Kindeswohl, hinter dem rein unterhaltsrechtliche Erwägungen zurücktreten müssten. Ist bereits eine am Kindeswohl orientierte Umgangsregelung vorhanden, gehe diese grundsätzlich vor. Da in diesem konkreten Fall bereits eine regelmäßige Betreuung durch den Vater stattfinde, sei nicht ersichtlich, weshalb eine darüber hinausgehende Betreuung durch ihn einen Loyalitätskonflikt für das Kind ergeben könnte. Desweiteren habe das Kammergericht keine konkreten Feststellungen getroffen, weshalb es der Mutter im konkreten Fall unzumutbar ist, ihre Erwerbstätigkeit zeitlich auszudehnen.
Mit der Neuregelung des § 1570 BGB hat der Gesetzgeber den nachehelichen Betreuungsunterhalt grundlegend umgestaltet. Anstelle des früheren starren Altersphasenmodells hat er einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden kann. Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidungen sind sowohl kind- als auch elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen. Obwohl der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB als Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ausgestaltet ist, wird er vor allem im Interesse des Kindes gewährt, um dessen Betreuung und Erziehung sicherzustellen.
Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt die Neuregelung keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit mit Erreichen des dritten Lebensjahres des zu betreuenden Kindes. Die Betreuungsbedürftigkeit ist vielmehr nach den individuellen Verhältnissen zu ermitteln.
Die kindbezogenen Gründe entfalten dabei im Rahmen der Billigkeitsentscheidung das stärkste Gewicht und sind deswegen stets vorrangig zu prüfen. Allerdings habe, so der Bundesgerichtshof, der Gesetzgeber mit der Neuregelung den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten grundsätzlich aufgegeben. In dem Umfang also, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine kindgerechte Einrichtung besucht oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, könne sich der betreuende Elternteil nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes berufen.
Die Berücksichtigung nachrangiger elternbezogener Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts sei dagegen Ausdruck der nachehelichen Solidarität. Maßgeblich ist dabei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Betreuung. Elternbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus Vertrauensgesichtspunkten kommen nur in Betracht, wenn der betreuende Elternteil das Kind auch tatsächlich persönlich betreut oder soweit der betreuende Elternteil durch seine Erwerbstätigkeit und den verbleibenden Anteil der persönlichen Betreuung überobligationsmäßig belastet würde.
Im Übrigen trägt der/die Unterhaltsberechtigte die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser kind- oder elternbezogenen Gründe.
Hinsichtlich einer zeitlichen Befristung des nachehelichen Betreuungsunterhalts nach § 1578 b BGB aus Gründen der Unbilligkeit hat der Bundesgerichtshof folgendes ausgeführt:
Eine derartige Befristung scheide schon deswegen aus, weil § 1570 BGB in der neuen Fassung insoweit eine Sonderregelung für die Billigkeitsabwägung enthält. Im Rahmen dieser Billigkeitsabwägung seien bereits alle kind- und elternbezogenen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Wenn diese Abwägung zu dem Ergebnis führt, dass der Betreuungsunterhalt über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus wenigstens teilweise fortdauert, könnten dieselben Gründe nicht zu einer Befristung im Rahmen der Billigkeit nach § 1578 b BGB führen.
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