Ehegattenunterhalt: Rechtsprechung des BGH zur Dreiteilungsmethode verfassungswidrig
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 25.01.2011
Norm: Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 2, 3 GG, §§ 1578, 1578 b, 1609 Nr. 2 BGB, § 36 EGZPO
Schlagworte:
Ehegattenunterhalt im Falle der Wiederverheiratung des Unterhaltspflichtigen, Ehe von langer Dauer, Verfassungswidrigkeit der Dreiteilungsmethode, unzulässige Rechtsfortbildung durch Rückgriff auf "sich wandelnde Lebensverhältnisse" als Berechnungsgrundlage von Ehegattenunterhalt, schonende Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Verhältnisse
Redaktionelle Zusammenfassung
Die nach 24 Ehejahren geschiedene Ehefrau rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG durch ein Urteil des Oberlandesgerichts. Dieses war der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs aus dem Jahr 2008 gefolgt, in der dieser mittels Neuinterpretation des § 1587 BGB Abstand vom bisherigen Postulat der "ehelichen Lebensverhältnisse" als Berechnungsgrundlage für den nachehelichen Ehegattenunterhalt genommen und an deren Stelle die "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse" gesetzt hat. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs bedeute diese Anpassung an die in Veränderung befindliche Lebenswirklichkeit vieler Geschiedener, dass im Falle der Wiederverheiratung des Unterhaltspflichtigen der sogenannte Halbteilungsgrundsatz als Dreiteilungsgrundsatz zu verstehen ist. Nach dieser Methode sei der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten im Wesentlichen dadurch zu ermitteln, dass seine bereinigten Einkünfte ebenso wie diejenigen des Unterhaltsverpflichteten wie auch dessen neuen Ehepartners zusammengefasst und durch drei geteilt würden.
Das Bundesverfassungsgericht hat die vom Bundesgerichtshof zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 BGB entwickelte Rechtsprechung der "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse" mit der Folge der sogenannten Dreiteilung als Berechnungsmethode für verfassungswidrig erklärt. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts löste sich der Bundesgerichtshof damit von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetzte es durch seine eigene Gerechtigkeitsvorstellung. Der Unterhaltsbedarf bestimmt sich bei der "Dreiteilungsmethode" nicht mehr nach den Lebensverhältnissen zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehescheidung, sondern nach den tatsächlichen Lebensverhältnissen und finanziellen Ausstattungen wie Belastungen der Geschiedenen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Unterhalts. Der Wortlaut des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB schließt es aber aus, nacheheliche Änderungen in die Bedarfsbemessung einzubeziehen, denen jeglicher Bezug zu der früheren Ehe fehlt, sondern die im Gegenteil überhaupt erst durch die Scheidung der Ehe ermöglicht werden.
Mit diesem Systemwechsel überschreitet der Bundesgerichtshof nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung. Ohne Berücksichtigung des neu geschaffenen § 1578 b BGB, der bereits eine Herabsetzung und zeitliche Begrenzung des Unterhalts nach bestimmten Billigkeitsgesichtspunkten erlaube, löse der Bundesgerichtshof sich in Gänze von der gesetzlichen Vorgabe und verletze somit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG.
Hintergrund der Regelung des § 1578 Abs. 1 BGB ist die Sicherstellung des erreichten Lebensstandards und Vermeidung des sozialen Abstiegs des Unterhaltsberechtigten nach der Scheidung in den Fällen, in denen die Eheleute in der Ehe durch gemeinsame Leistung einen höheren sozialen Status erreicht haben.
Zwar hat der Gesetzgeber mit der Reform des Unterhaltsrechts im Jahre 2008 die Stärkung des Kindeswohls sowie die wirtschaftliche Entlastung sogenannter Zweitfamilien bezweckt. Daher sei künftig nicht mehr die zeitliche Priorität der Eheschließung, sondern allein die Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Unterhaltsberechtigten von Belang. In diesem Sinne genieße der geschiedene Ehepartner auch keinen Vertrauensschutz mehr dahingehend, dass sich der Kreis der unterhaltsberechtigten Personen nach der Scheidung nicht mehr erweitere.
Allerdings hat der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht schonend an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen - insbesondere hinsichtlich der Erwerbsbiographien von Frauen - anpassen wollen. Dementsprechend hat er jedenfalls Ehegatten aus lang bestehenden Ehen in § 1609 Nr. 2 BGB und in § 36 EGZPO einen diesbezüglichen besonderen Vertrauensschutz eingeräumt.
Diesem Ansinnen des Gesetzgebers wird die Rechtsprechung zu den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" nicht gerecht. Insbesondere da sie den Unterhaltsbedarf des zweiten Ehepartners/der zweiten Ehepartnerin nur solange in die Berechnung des Unterhaltsbedarfs des unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehepartners/Ehepartnerin mit einbezieht, wie dies zu einer Verkürzung des Unterhaltsbedarfs führt.
Das Bundesverfassungsgericht hat das angegriffene Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an dieses zurückverwiesen. Hinsichtlich der weiteren Unterhaltstitel, die entsprechend der durch dieses Urteil verworfenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergangen, jedoch nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gewesen sind, ordnet das Bundesverfassungsgericht eine auf die Zukunft beschränkte Rechtsfolgenwirkung gemäß § 323 Abs. 3 ZPO beziehungsweise § 238 Abs. 3 FamFG an.
Diese Entscheidung im Original nachlesen
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110125_1bv…
Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine für geschiedene Ehegatten nachteilige Berechnungsmethode des Bundesgerichtshofs korrigiert. Das ist positiv für viele geschiedene Alleinerziehende, deren unterhaltverpflichteter Ehemann eine zweite Familie gründet. Denn durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erhielten geschiedene Ehegatten regelmäßig weniger Unterhalt als der Gesetzgeber vorgesehen hatte. Im vorliegenden Fall lag die Differenz der Unterhaltssumme, die der Ehefrau nach den gesetzlichen Vorgaben zusteht und die ihr aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht nun verworfenen Dreiteilungsmethode zugesprochen wurde, bei monatlich 273 Euro. Dies zeigt, dass die zu Grunde gelegte Berechnungsmethode von erheblicher Bedeutung für das Ergebnis im Einzelfall ist. Siehe auch Pressemitteilung des VAMV Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter hat im Vorfeld zu dieser Entscheidung eine Stellungnahme beim Bundesverfassungsgericht abgegeben… Stellungnahme