Zur Dauer des nachehelichen Betreuungsunterhalts nach neuem Unterhaltsrecht
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 18.03.2009
Norm: Art. 6 Abs. 2 GG, § 1570 BGB
Schlagworte:
Nachehelicher Betreuungsunterhalt, Basisunterhalt, kindgerechte Betreuungsmöglichkeiten, gewachsenes Vertrauen in die vereinbarte oder praktizierte Rollenverteilung, überobligatorische Belastung, Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils, Billigkeitsentscheidung über die Verlängerung des Betreuunsunterhalts, regelmäßig kein abrupter Wechsel von der elterlichen Betreuung zur Vollzeiterwerbstätigkeit
Redaktionelle Zusammenfassung
Die geschiedenen Eltern eines gemeinsamen Kindes streiten um Betreuungsunterhalt, den der Vater an die Mutter zahlen soll. Der Vater will seinen nachehelichen Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt herabsetzen und zeitlich befristen. Die Revision wurde nur für den Unterhaltsanspruch ab Januar 2008 zugelassen. Der Bundesgerichtshof erörterte die Frage nach Höhe und Dauer des Betreuungsunterhalts nach dem seit dem 01. Januar 2008 geltenden Unterhaltsrecht. Er hat das Urteil des Kammergerichts Berlin, das eine Herabsetzung und zeitliche Befristung der Unterhaltszahlungen zurückgewiesen hatte, in Bezug auf den Unterhaltsanspruch ab Januar 2008 aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.
Die Eltern des 2001 geborenen gemeinsamen Kindes hatten im Jahr 2000 geheiratet und sich 2003 getrennt. Die Ehe wurde 2006 geschieden. Das Kind lebt bei der Mutter und besucht seit September 2007 die Schule und anschließend bis 16.00 Uhr einen Hort. Es leidet unter chronischem Asthma. Die Mutter ist verbeamtete Lehrerin und arbeitet seit August 2002 auf einer 7/10 Stelle (18 Wochenstunden).
Der Bundesgerichtshof hat geprüft, inwieweit der Mutter seit Januar 2008 ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 Bürgerliches Gesetzbuch zusteht. Im Ergebnis hat er festgestellt, dass ihm eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist, weil die Billigkeitsabwägung, ob elternbezogene Gründe in diesem Einzelfall zu einer eingeschränkten Erwerbsobliegenheit führen, grundsätzlich der Tatrichter durchzuführen hat.
Diese Billigkeitsabwägung kann vom Bundesgerichtshof nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Rechtsfehler hat der Bundesgerichtshof darin gesehen, dass das Kammergericht eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen bejaht hat, aber diese Entscheidung vorrangig auf das Alter des Kindes gestützt und nicht konkret dargelegt hat, wie die zeitliche Arbeitsbelastung der Mutter bei einer Vollzeittätigkeit aussieht und in welchem Umfang das Kind nach der Betreuung im Hort die Mutter durch zusätzlichen Betreuungsbedarf beansprucht.
Zum nachehelichen Betreuungsunterhalt hat der Bundesgerichtshof folgendes ausgeführt:
Mit § 1570 Bürgerliches Gesetzbuch hat der Gesetzgeber den nachehelichen Betreuungsunterhalt grundlegend umgestaltet. Er hat einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden kann. Dabei sind kind- und elternbezogene Gründe zu berücksichtigen, wobei die kindbezogenen Gründe bei der Billigkeitsentscheidung aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Schutzes aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz das stärkste Gewicht haben. Die Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über drei Jahre hinaus müssen vom unterhaltsberechtigten Elternteil dargelegt und bewiesen werden.
Obwohl der Betreuungsunterhalt nach § 1570 Bürgerliches Gesetzbuch als Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ausgestaltet ist, wird er vor allem im Interesse des Kindes gewährt, um dessen Betreuung und Erziehung sicherzustellen.
In den ersten drei Lebensjahren des Kindes kann der betreuende Elternteil frei entscheiden, ob er das Kind selbst erziehen oder eine andere Betreuungsmöglichkeit in Anspruch nehmen will. Dafür kann auch eine schon bestehende Erwerbstätigkeit wieder aufgegeben werden.
Ab Vollendung des dritten Lebensjahres hat der Gesetzgeber den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben. Die Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit findet erst dort ihre Grenze, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar ist, was jedenfalls bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten regelmäßig nicht der Fall ist.
Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist deswegen zunächst stets der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung in kindgerechten Einrichtungen oder auf andere Weise gesichert werden kann. Auf die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes kommt es erst dann nicht mehr an, wenn das Kind ein Alter erreicht hat, in dem es zeitweise sich selbst überlassen werden kann. Dabei ist eine Anknüpfung an das frühere Altersphasenmodell, in dem das Kindesalter der alleinige Grund für eine Verlängerung des Betreuungsunterhaltes war, nicht mehr haltbar.
Neben der grundsätzlichen Betreuungsbedürftigkeit minderjähriger Kinder können auch sonstige kindbezogenen Gründe, wie zum Beispiel schwere Erkrankungen des Kindes, für eine eingeschränkte Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils sprechen. Insoweit sind die individuellen Umstände des jeweiligen Falles zu beachten.
Soweit nicht schon kindbezogene Gründe einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen, sind elternbezogene Gründe für die Verlängerung des Betreuungsunterhaltes zu prüfen. Elternbezogene Gründe beruhen auf einer nachehelichen Solidarität. Maßgeblich ist dabei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte oder praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kinderbetreuung. Diese Umstände gewinnen bei längerer Ehedauer oder bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit zur Erziehung der gemeinsamen Kinder weiter an Bedeutung. Insoweit darf die ausgeübte oder verlangte Erwerbstätigkeit neben dem nach der Erziehung und Betreuung in Tageseinrichtungen verbleibende Anteil an der Betreuung nicht zu einer überobligatorischen Belastung des betreuenden Elternteils führen, die ihrerseits wiederum negative Auswirkungen auf das Kindeswohl entfalten könnte. Selbst wenn ein Kind ganztags in einer kindgerechten Einrichtung betreut und erzogen wird, was dem betreuenden Elternteil grundsätzlich die Möglichkeit zu einer Vollzeittätigkeit einräumen würde, kann sich bei Rückkehr in die Familienwohnung ein weiterer Betreuungsbedarf ergeben, dessen Umfang im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Dann ist eine Prüfung geboten, ob und in welchem Umfang die Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Elternteils trotz der Vollzeitbetreuung des Kindes noch eingeschränkt ist.
Die Neuregelung des Unterhaltsrechts verlangt regelmäßig keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen und elternbezogenen Gründe ist auch nach neuem Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich.
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