Zum Bedarf und zur Dauer des Betreuungsunterhalts
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 16.07.2008
Norm: § 1615 l BGB
Schlagworte:
Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten, Verlängerung des Betreuungsunterhalts, Berücksichtigung elternbezogener Umstände, Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils, überobligationsmäßige Doppelbelastung
Redaktionelle Zusammenfassung
Die Mutter und der Vater von zwei gemeinsamen Kindern streiten um Betreuungsunterhalt, den der Vater an die Mutter zahlen soll.
Die Eltern hatten sich kennen gelernt, als die Mutter von ihrem früheren Ehemann getrennt lebte und ein einjähriges Kind aus dieser Ehe betreute. Die Eltern lebten fünf Jahre zusammen und bekamen zwei gemeinsame Kinder. Als das zweite gemeinsame Kind ein Jahr alt war, trennten sich die Eltern.
Knapp zwei Jahre nach der Trennung heiratete der Vater eine andere Frau.
Das Maß des nach § 1615 l Bürgerliches Gesetzbuch zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Anspruchsberechtigten. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass sich diese Lebensstellung aus den Einkünften ergibt, die der Berechtigte, also hier die Mutter, ohne die Geburt des Kindes hätte. Dies gilt auch, wenn die Eltern schon vor der Geburt des Kindes zusammengelebt haben. Auch in einem solchen Fall ist nicht ein Quotenunterhalt nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen innerhalb der nichtehelichen Lebensgemeinschaft geschuldet. Wenn die Eltern vor der Geburt ihres gemeinsamen Kindes in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt haben, beruht ein gemeinsamer Lebensstandard regelmäßig noch auf freiwilligen Leistungen des besser verdienenden Lebenspartners. Ein Unterhaltsrechtsverhältnis entsteht nicht schon mit der Aufnahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sondern gemäß § 1615 l Bürgerliches Gesetzbuch erst aus Anlass der Geburt eines gemeinsamen Kindes. Deshalb ist ausschlaggebend, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des unterhaltsberechtigten Elternteils, also der Mutter, bis zur Geburt entwickelt haben, unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des unterhaltsverpflichteten Elternteils, also hier des Vaters.
Etwas anderes gilt auch nicht, wenn aus der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mehrere Kinder hervorgegangen sind. Auch dann sind für einen späteren Unterhaltsanspruch nach § 1615 l Absatz 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch die Verhältnisse bei Geburt des ersten gemeinsamen Kindes maßgeblich.
Nach § 1615 l Absatz 2 Satz 4 und 5 Bürgerliches Gesetzbuch verlängert sich der Unterhaltsanspruch der nicht mit dem Vater verheirateten Mutter über drei Jahre hinaus, so lange und so weit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind insbesondere die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen. Eine Verlängerung des Betreuungsunterhaltes kommt also vorrangig aus kindbezogenen Gründen in Betracht. Daneben sind aber auch elternbezogene Gründe nicht ausgeschlossen. Das gilt laut Bundesgerichtshof insbesondere dann, wenn die Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt haben und deswegen auch ein eventueller Vertrauenstatbestand als Nachwirkung dieser Familie zu berücksichtigen ist.
Dabei ist allerdings stets zu beachten, dass die gesetzliche Regel nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden darf: Danach ist der Betreuungsunterhalt grundsätzlich nur für drei Jahre geschuldet und eine Verlängerung über diesen Zeitraum hinaus muss ausdrücklich begründet werden.
Die regelmäßig mit geringerem Gewicht zu wertenden elternbezogenen Gründe können für eine Verlängerung des Betreuungsunterhaltes sprechen, wenn die geschiedene Ehe oder die gelebte Familie einen besonderen Vertrauenstatbestand für den Unterhaltsberechtigten geschaffen hat. Solches kann insbesondere dann vorliegen, wenn ein oder mehrere gemeinsame Kinder im Hinblick auf eine gemeinsame Verantwortung beider Eltern gezeugt wurden, was auch nach Auflösung der Ehe oder der Familie für eine Fortdauer der Verantwortung des nicht betreuenden Elternteils sprechen kann.
Bei der Bemessung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils, also hier der Mutter, ist zu beachten, ob der ihr neben oder nach der Erziehung und Betreuung in staatlichen Einrichtungen verbleibende Anteil an der Betreuung und Erziehung der Kinder in Verbindung mit einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zu einer überobligatorischen Belastung führen würde. Denn selbst wenn ein Kind ganztags in einer öffentlichen Einrichtung betreut und erzogen wird, kann sich bei der Rückkehr in die Familienwohnung ein weiterer Betreuungsbedarf ergeben, dessen Umfang im Einzelfall unterschiedlich sein, vor allem aber vom Alter des Kindes abhängen kann.
Gerade kleinere Kinder benötigen nach einer Ganztagsbetreuung noch in stärkerem Umfang den persönlichen Zuspruch der Eltern, was einen nicht unerheblichen zusätzlichen Betreuungsaufwand erfordern kann, der entsprechend der gesetzlichen Wertung für den Kindesunterhalt in § 1606 Absatz 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch nicht unberücksichtigt bleiben kann. In solchen Fällen ist eine Prüfung geboten, ob, in welchem Umfang und bis zu welchem Zeitpunkt die Erwerbspflicht des unterhaltsberechtigten Elternteils noch eingeschränkt ist. In welchem Umfang die verbleibende Kinderbetreuung neben einer Erwerbstätigkeit im Verhältnis zwischen Vater und Mutter überobligationsmäßig ist, hängt allerdings auch von ihrer früheren Lebensplanung und -gestaltung ab, nämlich davon, ob der Unterhaltsberechtigte, also hier die Mutter, auch weiterhin auf eine derartige Aufgabenverteilung vertrauen durfte.
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