Betreuungsunterhalt darf Existenzminimum nicht unterschreiten
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 16.12.2009
Norm: §§ 1572, 1573, 1615 l Abs. 2, 1610 Abs. 1 BGB
Schlagworte:
Betreuungsunterhalt bei Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern über das dritte Lebensjahr hinaus nur bei Vorliegen kind- oder elternbezogener Gründe, Bemessung nach Lebensstellung des/der Unterhaltsberechtigten vor Geburt des Kindes, Mindestbedarf an Existenzminimum auszurichten, diesbezügliche Gleichstellung von ehelichem wie nichtehelichem Unterhalt, Krankheitsrisiko oder Beschäftigungsrisiko von § 1615 l BGB nicht erfasst
Redaktionelle Zusammenfassung
Die nicht miteinander verheirateten Eltern, die über einen Zeitraum von gut zehn Jahren zusammengelebt hatten - fünfeinhalb davon mit dem nunmehr sechsjährigen schulpflichtigen Kind - streiten um den Anspruch der Mutter auf Betreuungsunterhalt. Die Mutter, bei der das Kind seit der Trennung lebt, hatte vor der Geburt des Kindes als Archäologin an einigen befristeten Projekten mitgearbeitet, jedoch sonst keine eigenen Erwerbseinnahmen erzielt. Sie leidet seit über zwanzig Jahren an schubweise auftretender Multipler Sklerose. Das Oberlandesgericht hatte der Mutter lediglich bis zum Ablauf des ersten Schulhalbjahres des Kindes Betreuungsunterhalt zugesprochen, für die Zeit darüber hinaus jedoch abgelehnt. Es begründete seine Entscheidung damit, dass ihr Unterhaltsbedarf aufgrund der vorhandenen ganztägigen Fremdbetreuung durch die im Rahmen einer zumutbaren Erwerbstätigkeit erzielbaren Einkünfte gedeckt werden könne.
Die Revision der Mutter hatte keinen Erfolg. Nach Meinung des Bundesgerichtshofs steht ihr jedenfalls seit dem Ablauf des ersten Schulhalbjahres kein Betreuungsunterhalt mehr zu.
Die Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Mutter bestimmt sich gemäß § 1615 l Abs. 2 BGB nach deren Lebensstellung . Anders als beim Trennungsunterhalt oder beim nachehelichen Unterhalt, bei denen der Bedarf von den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt wird, sind auf den Unterhaltsanspruch des betreuenden Elternteils eines nichtehelich geborenen Kindes die Vorschriften über die Unterhaltspflichten zwischen Verwandten und somit auch § 1610 Abs. 1 BGB entsprechend anzuwenden. Ausschlaggebend ist danach, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des unterhaltsberechtigten Elternteils bis zur Geburt des gemeinsamen Kindes entwickelt haben.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs beruht ein gemeinsamer Lebensstandard in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vor der Geburt eines gemeinsamen Kindes regelmäßig auf freiwilligen Leistungen des besser verdienenden Partners. Denn ein Unterhaltsrechtsverhältnis entstehe nicht schon mit der Aufnahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, sondern gemäß § 1615 l BGB erst aus Anlass der Geburt eines gemeinsamen Kindes. Da der Partner seine Leistungen vor Beginn des Mutterschutzes jederzeit einstellen kann, ist der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ohne gemeinsames Kind erreichte tatsächliche Lebensstandard nicht geeignet, eine Lebensstellung für den späteren Unterhaltsanspruch zu begründen.
Konkret bedeutet dies, dass sich die Lebensstellung des betreuenden Elternteils nach seinem Einkommen bemisst, wenn er bis zur Geburt des Kindes erwerbstätig war.
In den Fällen, in denen der unterhaltsberechtigte Elternteil dagegen vor der Geburt des Kindes von Sozialleistungen gelebt hat, würde seine Lebensstellung allerdings nicht mit Null angesetzt. Stattdessen ergebe sich die Lebensstellung vielmehr aus der Höhe der gezahlten Sozialleistung. Als Folge ist dem/der Unterhaltsberechtigten ein Mindestbedarf an Unterhalt zuzusprechen, der das Existenzminimum nicht unterschreiten darf. Dieser Mindestbedarf hat sich nach dem Betrag zu richten, der einem/einer nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen als notwendiger Selbstbehalt zur Verfügung steht. Nach der Düsseldorfer Tabelle und den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte beträgt dieser Selbstbehalt derzeit 770 Euro.
Entsprechend sei im Übrigen auch Unterhaltsberechtigten mit geringeren Einkünften ein solcher Mindestbedarf zuzubilligen, weil ihr Bedarf nicht geringer sein kann, als der Bedarf eines Unterhaltsberechtigten ohne eigene Einkünfte.
In Abwendung von seiner bisherigen Rechtsprechung betont der Bundesgerichtshof, dass dies in gleicher Weise auch für den gesamten Ehegattenunterhalt gelte.
Der Anspruch des betreuenden Elternteils nach § 1615 l Abs. 2 S. 3 BGB auf Betreuungsunterhalt über das dritte Lebensjahr hinaus kann lediglich verlängert werden, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs verlangt die Neuregelung zwar keinen abrupten Wechsel von der umfassenden elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Insbesondere nach Maßgabe der im Gesetz ausdrücklich genannten kindbezogenen Gründe ist unter Berücksichtigung der bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich. Weil § 1615 l Abs. 2 S. 5 BGB jedoch eine Verlängerung des Unterhaltsanspruchs wegen der Betreuung nichtehelicher Kinder "insbesondere" aus kindbezogenen Gründen zuließe, kämen jedoch auch elternbezogene Umstände für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts in Betracht. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt haben und deswegen auch ein eventueller Vertrauenstatbestand als Nachwirkung dieser Familie zu berücksichtigen sei. Dabei sei allerdings stets zu beachten, dass die gesetzliche Regel, wonach der Betreuungsunterhalt grundsätzlich nur für drei Jahre geschuldet ist und eine Verlängerung über diesen Zeitraum hinaus ausdrücklich begründet werden muss, nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden dürfe.
Der/die Unterhaltsberechtigte trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus. Im vorliegenden Fall wurden von der Mutter weder kindbezogene noch elternbezogene Gründe für eine solche Verlängerung vorgetragen.
Nicht erfasst von § 1615 l BGB ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs dagegen das Krankheitsrisiko und das Beschäftigungsrisiko des/der Unterhaltsberechtigten, da § 1615 l BGB weder einen Krankheitsunterhalt noch einen Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit, wie sie die §§ 1572 und 1573 BGB für den nachehelichen Unterhalt zusätzlich vorsehen, kennt.
Diese Entscheidung im Original nachlesen
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtspr…
Auch wenn sich der Unterhaltsbedarf eines betreuenden Elternteils nach seinem Lebensstandard vor der Geburt des gemeinsamen Kindes richtet (wenn er mit dem anderen Elternteil des Kindes nicht verheiratet war) darf dieser Unterhalt jedenfalls nicht das Existenzminimum unterschreiten, entschied der Bundesgerichtshof mit dem vorliegenden Urteil. Das Urteil ist nicht spektakulär, sieht aber immerhin ein theoretisches Minimum an Absicherung vor. Mit dieser Entscheidung legt der Bundesgerichtshof eine untere Grenze des Unterhaltsbedarfs fest, die seiner Ansicht nach in Höhe des nur wenig darüber hinausgehenden notwendigen Selbstbehalts eines Unterhalspflichtigen pauschalisiert werden darf, der zum Zeitpunkt der Entscheidung 770 Euro monatlich beträgt.