Zur Übernahme der Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts bei Bezug von Arbeitslosengeld II
Bundessozialgericht
Beschluss vom 07.11.2006
Norm: § 20 SGB II, § 73 SGB XII
Schlagworte:
Übernahme der Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts bei Bezug von Arbeitslosengeld II, keine Erhöhung der Regelleistung nach SGB II, ergänzende Leistungen nach § 73 SGB XII, zeitweise Bedarfsgemeinschaft mit den Kindern anlässlich regelmäßiger Umgangskontakte
Redaktionelle Zusammenfassung
Der geschiedene Vater zweier Kinder beantragte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch II, einschließlich der Kosten für das Umgangsrecht mit seinen Kindern für die Zeit ab 01.01.2005.
Die Kinder leben bei der Mutter, die das alleinige Sorgerecht hat. Sie besuchen den Vater regelmäßig an Wochenenden, das jüngere Kind alle 14 Tage, das ältere Kind einmal im Vierteljahr. Außerdem halten sie sich während der Schulferien mehrere Tage bei ihrem Vater auf. Es fallen Fahrtkosten für die Kinder und für den Vater an, wenn er die Kinder abholt und zurückbringt. Zusätzlich entstehen erhöhte Lebenshaltungskosten für die Zeit, die die Kinder bei ihrem Vater verbringen.
Der Leistungsträger bewilligte Arbeitslosengeld II, lehnte jedoch die Zahlung zusätzlicher Beträge mit der Begründung ab, dass die Kinder mit ihrem Vater keine Bedarfsgemeinschaft bilden und die Fahrtkosten unter die pauschalierten Regelleistungen des Sozialgesetzbuch II fallen. Eine Anspruchsgrundlage für darüber hinaus gehende Leistungen bestand nach Ansicht des Leistungsträgers nicht.
Das Sozialgericht entschied, der Vater habe einen Anspruch auf höhere Leistungen unter verfassungskonformer Änderung des in § 20 Sozialgesetzbuch II festgelegten Regelsatzes.
Gegen diese Entscheidung des Sozialgerichtes legte der Leistungsträger Sprungrevision beim Bundessozialgericht ein.
Das Bundessozialgericht entschied, dass eine Erhöhung des Regelsatzes des § 20 Sozialgesetzbuch II nicht verfassungskonform und nach dem Konzept des Sozialgesetzbuch II ausgeschlossen sei. Insoweit habe das Sozialgericht die Grenzen einer zulässigen verfassungskonformen Auslegung überschritten. So sei ausdrücklich in § 3 Absatz 3 Sozialgesetzbuch II vom Gesetzgeber durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende klargestellt worden, dass die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen decken. Eine davon abweichende Festlegung des Bedarfs ist ausgeschlossen.
Auch § 23 Sozialgesetzbuch II scheidet nach Ansicht des Bundessozialgerichts als Anspruchsgrundlage aus, da er die Gewährung eines Darlehens vorsieht für den Fall, dass ein von den Regelleistungen umfasster nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes besteht. Da die Umgangskosten aber einen wiederkehrenden Bedarf darstellen, ist es nicht sinnvoll, sie mit einem Darlehen zu einer belastenden Hypothek für die Zukunft zu machen.
Das Bundessozialgericht sieht aber die Möglichkeit, dass sich ein Anspruch des Vaters aus § 73 Sozialgesetzbuch XII ergibt.
Bereits unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes war anerkannt, dass die Kosten des Umgangsrechts zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, für die über die Regelsätze für laufende Leistungen hinaus einmalige oder laufende Leistungen zu erbringen sind.
Die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums müssen im Ergebnis die Ausübung des Umgangsrechts bei Bedürftigkeit ermöglichen.
Im Hinblick auf Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz kann eine atypische Bedarfslage angenommen werden, die die Anwendung von § 73 Sozialgesetzbuch XII rechtfertigt. § 73 Sozialgesetzbuch XII sieht Hilfe in sonstigen Lebenslagen vor. Erforderlich ist dafür das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 Sozialgesetzbuch XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe mit besonderem Gewicht darstellt. Eine derartige Bedarfslage ist im vorliegenden Fall in der mit der Scheidung der Eltern verbundenen besonderen Schwierigkeit der Aufrechterhaltung des Umgangs der Kinder mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil bei unterschiedlichen, voneinander entfernt liegenden Wohnorten zu sehen.
Dass diese besondere, atypische Situation eine Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach dem 9. Kapitel des Sozialgesetzbuch XII rechtfertigen kann, zeigt ein Blick auf die Altenhilfe nach § 71 Sozialgesetzbuch XII. Danach können alte Menschen, obwohl die Beziehungen zur Umwelt zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören und damit vom Regelbedarf umfasst werden, wegen ihrer besonderen Situation weitere Leistungen erhalten, die ihnen die Verbindung mit nahe stehenden Personen ermöglichen.
Zu unterscheiden ist jedoch zwischen den Ansprüchen des Vaters und den Ansprüchen seiner Kinder.
§ 73 Sozialgesetzbuch XII ermöglicht dem Vater allenfalls eine Übernahme seiner eigenen Fahrtkosten.
Daneben sind eigene Ansprüche der Kinder wegen der ihnen entstehenden Fahrtkosten denkbar.
Bei der Ermessensleistung des § 73 Sozialgesetzbuch XII ist im Übrigen zu beachten, ob die geltend gemachten Fahrtkosten des Vaters überhaupt notwendigerweise anfallen. Zu prüfen wäre dabei, ob die im fraglichen Zeitraum zwölf und vierzehn Jahre alten Kinder noch abgeholt werden mussten oder ob sie die Strecke eigenständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätten zurücklegen können.
Für die zusätzlichen Lebenshaltungskosten der Kinder während der Zeit der Besuche ist die Annahme einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Absatz 3 Nummer 4 Sozialgesetzbuch II gerechtfertigt. Der Wortlaut der Regelung spricht von "dem Haushalt angehörenden" Kindern. Daraus ergibt sich, dass kein dauerhaftes Leben der Kinder im Haushalt des Vaters nötig ist, sondern dass es genügt, wenn ein dauerhafter Zustand vorliegt in der Form, dass die Kinder, wie im vorliegenden Fall, mit einer gewissen Regelmäßigkeit mehr als einen Tag bei ihrem Vater wohnen, so dass nicht nur sporadische Besuche vorliegen.
Ein Anspruch aus den §§ 20 bis 22 Sozialgesetzbuch II auf die zusätzlichen Lebenshaltungskosten für Teilzeiträume steht allerdings nicht dem Vater, sondern den Kindern als Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern zu, soweit die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Das Sozialgericht muss deshalb die Kinder des Vaters in das Verfahren einbeziehen.
Das Bundessozialgericht konnte außer über die Unzulässigkeit der Erhöhung des Regelsatzes nach § 20 Sozialgesetzbuch II den vorliegenden Fall nicht abschließend und für das Sozialgericht bindend entscheiden, da aufgrund der fehlenden Beiladung des zuständigen Sozialhilfeträgers dessen rechtliches Gehör verletzt würde. Auch lassen die tatsächlichen Feststellungen des Sozialgerichts keine abschließende Entscheidung im Sinne des § 130 Sozialgerichtsgesetz über höhere Leistungen insgesamt zu. Außerdem sind bei der zu treffenden Entscheidung auch rechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im bisherigen Klageverfahren nicht beziehungsweise nicht ausreichend erörtert wurden.
Das Bundessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Diese Entscheidung im Original nachlesen
http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechts…
Das Verfahren hat sich durch Klagerücknahme am 04.06.2007 erledigt.