Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Umfang und die Ausgestaltung des Umgangsrechts
Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 18.01.2006
Norm: Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
Schlagworte:
Elternrecht, Grundrechtsschutz beeinflusst Gestaltung und Anwendung von Verfahrensrecht, zuverlässige Entscheidungsgrundlage als Alternative zu persönlicher Anhörung oder Sachverständigengutachten, mildere Maßnahmen, Berücksichtigung des Aufwands, den ein Elternteil zur Wahrnehmung des Umgangs hat, bei der Ausgestaltung der Umgangskontakte
Redaktionelle Zusammenfassung
Der nicht mit der Mutter verheiratete und von ihr getrennt lebende Vater beantragte ein erweitertes Umgangsrecht zum Umgang mit seinem bei der Mutter lebenden Kind.
Die ursprüngliche Umgangsregelung sah einen begleiteten Umgang für monatlich zwei Stunden mit dem damals einjährigen Kind vor. Anlässlich einer Übergabe des Kindes im Beisein der Großmutter mütterlicherseits kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Vater und der Großmutter, die das Kind verängstigte.
Auf Antrag des Vaters wurde der Umgang nach persönlicher Anhörung der Eltern und des Kindes vom Amtsgericht von zwei auf fünf Stunden monatlich erweitert. Die Begleitung des Umgangs wurde auf die Übergabe des Kindes durch einen Pfleger beim Abholen und Zurückbringen beschränkt, damit dem Kind weitere Feindschaften zwischen seinen Bezugspersonen erspart bleiben sollen.
Die Mutter des Kindes legte erfolgreich Beschwerde gegen die Erweiterung des Umgangs ein. Das Oberlandesgericht entschied, es entspreche dem Wohl des Kindes, es bei den bislang praktizierten Umgangsregelungen zu belassen.
Hiergegen erhob der Vater Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der Vater durch die die Einschränkung des Umgangsrechts in seinem Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz verletzt sei.
Das Umgangsrecht eines Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge unter dem Schutz von Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz. Beide Rechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden.
Der sorgeberechtigte Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen.
Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt.
Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch weitgehend die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts. Das Verfahren muss grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen.
Zwar bleibt die Gestaltung des Verfahrens grundsätzlich dem Fachgericht überlassen; dieses ist verfassungsrechtlich nicht stets verpflichtet, die Beteiligten selbst persönlich anzuhören oder ein Sachverständigengutachten einzuholen. Wenn es von einer solchen Anhörung beziehungsweise von der Beiziehung eines Sachverständigen absieht, muss das Gericht aber anderweitig über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen.
Dies war nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im vorliegenden Verfahren nicht der Fall. Das Verfahren des Oberlandesgerichts hält verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht stand. Insbesondere fehlen Ausführungen darüber, woraus das Oberlandesgericht seine Erkenntnis gewonnen hat, das Kind sei mit einer zeitlichen Ausdehnung des Kontaktes oder unbegleitetem Umgang überfordert. Im Unklaren bleibt außerdem, wie das Oberlandesgericht nur aufgrund der Aktenlage feststellen konnte, dass das Kind durch den anfangs geschilderten Zwischenfall mit dem Streit zwischen Vater und Großmutter so beeinträchtigt ist, dass dies eine langfristige Einschränkung des Umgangsrechts erfordert.
Das Oberlandesgericht hat es auch versäumt, mildere Mittel zur Beseitigung der Schwierigkeiten zu erwägen, die seiner Ansicht nach beim Umgang vorhanden sind und aus dem Zwischenfall mit dem Streit zwischen Vater und Großmutter resultieren. Damit hat es dem Elternrecht des Vaters nicht die ihm gebührende Beachtung geschenkt. Denkbar wäre beispielsweise, die Begleitung des Umgangs und die Einschränkung auf zwei Stunden nur für eine Übergangszeit anzuordnen und für die Folgezeit unbegleiteten Umgang mit fünf Stunden Dauer vorzusehen. Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass der Vater pro Monat überhaupt nur einen Umgangskontakt hat und für diesen eigens von Berlin nach Köln anreisen muss.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß beruht, da nicht ausgeschlossen ist, dass das Oberlandesgericht bei hinreichender Beachtung des Elternrechts des Vaters und vor allem bei Durchführung der gebotenen Sachverhaltsermittlung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb den Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit dieser die Regelung des Umgangs betrifft, und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.