<p>WIR SIND FÜR SIE DA!</p>
Service

WIR SIND FÜR SIE DA!

Regelmäßig keine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht eines umgangsunwilligen Elternteils

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 01.04.2008

Norm: Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 GG, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, § 33 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Abs. 3 FGG

Schlagworte:

Umgang gegen den Willen des umgangsverpflichteten Elternteils, Zwangsmittel, Zweck des Umgangs, erzwungener Umgang dient regelmäßig nicht dem Kindeswohl

Redaktionelle Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht prüfte die Frage, ob es gegen das Grundgesetz verstößt, gegen den Willen des umgangspflichtigen Elternteils den gerichtlich angeordneten Umgang mit seinem Kind mit Zwangsmitteln durchzusetzen.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass in dem vorliegenden Fall das entscheidende Gericht verkannt hatte, dass ein Umgang gegen den Willen des umgangsverpflichteten Elternteils nur erzwungen werden darf, wenn dieser Umgang auch seinen Zweck erreicht, dem Kind dienlich zu sein. Ein Umgang, der nur mit Zwangsmitteln gegen den umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, dient aber in der Regel nicht dem Kindeswohl.

Die Verpflichtung eines Elternteils zum Umgang mit seinem Kind greift in das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit, nämlich in das Recht auf Wahrung der Privatsphäre und der persönlichen Beziehungen ein. Es verpflichtet den Elternteil, in eine persönliche Beziehung zu dem Kind zu treten, obwohl er dies nicht will.

Dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt, durch die den Eltern durch Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz auferlegte Verantwortung für ihr Kind und durch das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern.

Wägt man das Interesse des Kindes an einem gedeihlichen Umgang mit seinen beiden Elternteilen mit dem Interesse eines Elternteils ab, mit dem Kind nicht oder nicht mehr in persönlichen Kontakt treten zu wollen, dann ist dem kindlichen Anliegen gegenüber dem elterlichen Wunsch ein erheblich größeres Gewicht beizumessen.

Denn als gewichtige Basis für den Aufbau und Erhalt einer persönlichen familiären Beziehung ebenso wie für das Empfangen elterlicher Unterstützung und Erziehung ist der Umgang eines Kindes mit seinen Eltern für seine Persönlichkeitsentwicklung von maßgeblicher Bedeutung und trägt grundsätzlich zu seinem Wohl bei.

Es ist einem Elternteil deshalb zumutbar, auch unter Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitssphäre zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient. Insoweit ist die von § 33 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 3 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eröffnete Möglichkeit einer Androhung von Zwangsgeld im Falle der Zuwiderhandlung eines Elternteils gegen seine gesetzliche und gerichtlicherseits angeordnete Verpflichtung zum Umgang mit dem eigenen Kind legitim.

Die Androhung der zwangsweisen Durchsetzung der Umgangspflicht eines Elternteils gegen dessen erklärten Willen ist jedoch regelmäßig nicht geeignet, den Zweck zu erreichen, der mit ihr verfolgt wird: dem Kind einen Umgang zu ermöglichen, der zu seiner gedeihlichen Persönlichkeitsentwicklung beiträgt.

Ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln gegen den umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, dient dem Kindeswohl in der Regel nicht. Insofern ist der Eingriff in das Grundrecht des umgangsunwilligen Elternteils auf Schutz der Persönlichkeit nicht gerechtfertigt.

Der auf den Elternteil ausgeübte Druck läuft nicht nur seinem Willen zuwider, sondern widerstrebt auch seinen Gefühlen für das Kind. Legt aber der Elternteil seine ablehnende Haltung gegenüber dem Kind bei einer erzwungenen Begegnung nicht ab, gerät das Kind in eine Situation, in der es nicht die mit dem Umgang bezweckte elterliche Zuwendung erfährt, sondern spüren muss, wie es von seinem Elternteil als Person abgelehnt wird. Die Schuld für diese Ablehnung könnte das Kind bei sich selbst suchen. Dies dient regelmäßig nicht seinem Wohl, sondern schadet ihm.

Bei der Eignung des Einsatzes von Zwangsmitteln gegen einen Elternteil zur Durchsetzung eines von diesem nicht gewollten Umgangs mit seinem Kind kommt es nicht darauf an, ob ein solcher Umgang des Kindeswohl gefährden könnte, sondern ob ein solcher Umgang dem Kindeswohl dient.

Dem steht nicht entgegen, dass § 1684 Absatz 4 Bürgerliches Gesetzbuch die Einschränkung und den Ausschluss des Umgangsrechts nur zulässt, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Diese Regelung hat die Grenzen des elterlichen Umgangsrechts zum Gegenstand, nicht die Durchsetzung der Umgangspflicht.

Auch wenn fachwissenschaftliche Erkenntnisse über die Folgen eines erzwungenen Umgangs nicht vorliegen, ist die Annahme nahe liegend, dass ein Elternteil, der sich in seiner ablehnenden Haltung dem Kind gegenüber auch nicht durch eine gerichtliche Verdeutlichung seiner Umgangspflicht beeindrucken und umstimmen lässt, seinen Unwillen und seine Abneigung dem Kind gegenüber bei einer erzwungenen Begegnung zum Ausdruck bringen wird. Dies dürfte Spuren an der kindlichen Psyche hinterlassen und es ist zu befürchten, dass das Kind seelischen Schaden nimmt. Ein Umgang, bei dem eine solche Beeinträchtigung des Kindes droht, dient nicht dem Kindeswohl.

Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es Fälle gibt, in denen aufgrund der Unbefangenheit des Kindes auch gegenüber Fremden und seiner psychischen Stabilität eine reale Chance besteht, dass das Kind in der Lage ist, durch sein offenes und freundliches Verhalten den Widerstand des den Kontakt zu ihm meidenden Elternteils aufzulösen, so dass ein zunächst erzwungener Umgang dennoch dem Kindeswohl dienen kann.

Oder dass für ein älteres Kind, das ein starkes Interesse verspürt, den Elternteil wenigstens einmal kennen zu lernen, die Erfüllung dieses Bedürfnisses gewichtiger sein kann, als die möglicherweise damit verbundene Erfahrung, dass dieser Elternteil von ihm nichts wissen will. Dies ist gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu klären.

Bei Kindern, die noch nicht zu einer stabilen Persönlichkeit herangereift sind, ist dagegen regelmäßig zunächst einmal anzunehmen, dass ihnen bei einer erzwungenen Begegnung mit dem widerstrebenden Elternteil Schaden droht und ein solcher Umgang dem Wohle des Kindes nicht dienlich ist, es sei denn, es gibt im konkreten Einzelfall hinreichend Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dennoch dienen wird.

Diese Entscheidung im Original nachlesen

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080401_1bv…

Stellungnahme des VAMV vom 28.11.2006