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Rechtsstellung des biologischen Vaters, der nicht der rechtliche Vater ist

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 09.04.2003

Norm: Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, § 1600 BGB, § 1685 BGB

Schlagworte:

Rechtsstellung des biologischen Vaters, der nicht der rechtliche Vater ist, sozial-familiäre Beziehung, Feststellung der Vaterschaft

Redaktionelle Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht prüfte in erster Linie die Frage, ob die Regelung des § 1600 Bürgerliches Gesetzbuch mit Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz vereinbar ist. § 1600 Bürgerliches Gesetzbuch bestimmt, dass nur die Mutter, das Kind und der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1592 Nummer 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch besteht, eine Vaterschaft anfechten können.

Das Bundesverfassungsgericht sieht die Regelung des § 1600 Bürgerliches Gesetzbuch mit Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz als unvereinbar an, soweit sie den biologischen, aber nicht rechtlichen Vater ausnahmslos von der Anfechtung einer Vaterschaftsanerkennung ausschließt. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgetragen, bis zum 30. April 2004 eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen.

Bis zur gesetzlichen Neuregelung sind gerichtliche Verfahren auszusetzen, soweit die Entscheidung von der Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Bürgerliches Gesetzbuch abhängt.

Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz schützt den biologischen, aber nicht rechtlichen  Vater in seinem Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen. Allein die Tatsache, biologischer Vater eines Kindes zu sein, macht diesen Vater aber weder zum Träger des Elternrechts aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz noch gibt es ihm ein Recht, vorrangig vor dem rechtlichen Vater die Vaterstellung eingeräumt zu erhalten. Der Gesetzgeber muss ihm jedoch die Möglichkeit eröffnen, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn nicht der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern entgegensteht.

Träger des Elternrechts nach Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz können für ein Kind nur eine Mutter und ein Vater sein. Für die Entwicklung des Kindes ist neben seiner Abstammung und neben der Qualität der Beziehung zu seinen Bezugspersonen das Wissen und die Gewissheit von maßgeblicher Bedeutung, zu wem es gehört und wer als Mutter oder Vater Verantwortung für es trägt. Nur dies schafft personale und rechtliche Sicherheit für das Kind; diese Sicherheit soll die Grundrechtsnorm ihm über das Elternrecht vermitteln.

Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz schließt ein Elternrecht ohne Pflichtentragung gegenüber dem Kind aus. Daher kann Inhaber des Elternrechts nur sein, wer zugleich Elternverantwortung trägt, unabhängig davon, ob sich die Elternschaft allein auf Abstammung oder Rechtszuweisung gründet. Ein Nebeneinander von zwei Vätern, denen zusammen mit der Mutter jeweils die gleiche grundrechtlich zugewiesene Elternverantwortung für das Kind zukommt, entspricht nicht der Vorstellung von elterlicher Verantwortung, die Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz zugrunde liegt. Mit einer solchen Konstellation wären Rollenkonflikte und Kompetenzstreitigkeiten gleichsam angelegt, die negativen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes nehmen könnten.

Der rechtliche Vater eines Kindes, der für dieses Elternverantwortung wahrnimmt, ist Träger des Elternrechts aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz und verliert dieses Recht und die die damit verbundene Stellung als Vater nicht allein dadurch, dass sich ein anderer Mann als biologischer Vater des Kindes herausstellt.

Die biologische Vaterschaft bedarf der rechtlichen Anerkennung, damit aus ihr das Elternrecht geltend gemacht werden kann. Das Ziel muss dabei auch die rechtsverbindliche Übernahme von Elternverantwortung sein.

Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz schützt das Interesse des biologischen Vaters eines Kindes, auch die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Grundsätzlich muss diesem Vater ein verfahrensrechtlicher Zugang zum Elternrecht gewährt werden. Dies gilt auch für einen Vater, der mangels Kooperation der Mutter seine Vaterschaft bislang nicht nachzuweisen vermochte. Die Prüfung und Feststellung der Vaterschaft ist insoweit Teil der verfahrensrechtlichen Gewährleistung aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz.

Dabei sind nur Verfahren umfasst, die als Ziel haben, auch die rechtliche Vaterschaft einnehmen zu können. Nicht geschützt ist das Begehren, allein Kenntnis und Gewissheit über die Abstammung eines Kindes zu erlangen, weil diesem Begehren der Bezug zur Elternverantwortung fehlt.

Die Grundrechtsnorm des Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz gewährt dem biologischen Vater kein Recht, in jedem Fall vorrangig vor dem rechtlichen Vater die Vaterstellung eingeräumt zu erhalten. Abstammung und sozial-familiäre Verantwortungsgemeinschaft sollen vom Gesetzgeber möglichst in Deckung gebracht werden. Fallen sie in der Wirklichkeit auseinander, gibt Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz kein Rangverhältnis zwischen sozialer und biologischer Elternschaft vor.

Verfassungsrechtlich ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Interessen des Kindes und seiner rechtlichen Eltern am Erhalt eines bestehenden sozialen Familienverbandes gegenüber dem Interesse des biologischen Vaters, als Vater auch rechtlich anerkannt zu werden, den Vorrang einräumt und ihn in § 1600 Bürgerliches Gesetzbuch davon ausschließt, die rechtliche Vaterschaft anzufechten.

Der Gesetzgeber begründet dies mit dem Schutz der sozialen Familie, die als dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft von Eltern mit Kindern in ihrem sozialen Gefüge und Bestand beeinträchtigt wird, wenn ein anderer die rechtliche Vaterschaft für sich einfordert.

Allerdings ist § 1600 Bürgerliches Gesetzbuch mit Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz unvereinbar, insoweit dem biologischen Vater auch dann das Recht auf Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft vorenthalten wird, wenn die rechtlichen Eltern mit dem Kind gar keine soziale Familie bilden, die es nach Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz zu schützen gilt.

Ein Wechsel in der Rechtsposition des Vaters bringt dem Kind in diesem Fall zumindest die Übereinstimmung von Abstammung und rechtlicher Vaterschaft, auch wenn sich im sozialen Leben nichts ändert.

Hat das Kind mit dem biologischen Vater, der nun auch rechtlicher Vater werden möchte, bereits eine Vater-Kind-Beziehung aufbauen können, während es mit seinem rechtlichen Vater und seiner Mutter nicht in familiärer Gemeinschaft zusammenlebt, entspricht es sogar dem Interesse des Kindes am Erhalt seiner personalen Beziehungen, wenn dem biologischen Vater die Möglichkeit gegeben wird, auch rechtlich als Vater anerkannt und in die Pflicht genommen zu werden.

Eine schützenswerte Sozialbeziehung zwischen der Mutter, dem Kind und dem Vater, der ohne biologischer Vater zu sein, die Vaterschaft anerkannt hat, kann nicht standardmäßig vermutet werden. Statistische Zahlen belegen, dass in mehr als der Hälfte der Fälle Vaterschaftsanerkenntnisse abgegeben werden, ohne dass eine Lebensgemeinschaft zwischen Mutter, Kind und "Zahlvater" besteht.

Das Bundesverfassungsgericht prüfte auch die Frage, ob die Regelung des § 1685 Bürgerliches Gesetzbuch mit Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz vereinbar ist. § 1685 Bürgerliches Gesetzbuch bezieht den biologischen Vater eines Kindes nicht ausdrücklich in den Kreis der umgangsberechtigten Personen ein. Da der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Umgangsrecht auf diejenigen Bezugspersonen begrenzt sein soll, die die Norm ausdrücklich nennt und von denen der Gesetzgeber annimmt, dass sie dem Kind üblicherweise besonders nahe stehen, ist auch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, den biologischen, aber nicht rechtlichen Vater einzubeziehen, ausgeschlossen.

Auch der biologische, aber nicht rechtliche Vater eines Kindes bildet mit diesem eine Familie, die unter dem Schutz des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz steht, wenn zwischen ihm und dem Kind eine soziale Beziehung besteht, die darauf beruht, dass er zumindest eine Zeit lang tatsächlich Verantwortung für das Kind getragen hat. Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz schützt den biologischen Vater wie das Kind in ihrem Interesse am Erhalt dieser sozial-familiären Beziehung und damit am Umgang miteinander. Es verstößt gegen Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz, den so mit seinem Kind verbundenen biologischen Vater vom Umgang mit ihm auch dann auszuschließen, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient.

Das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Schluss, dass die Regelung des § 1685 Bürgerliches Gesetzbuch insoweit nicht mit Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz vereinbar ist, als der biologische, aber nicht rechtliche Vater eines Kindes auch dann nicht in den Kreis der Umgangsberechtigten mit einbezogen wird, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber daher aufgetragen, bis zum 30. April 2004 eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen. Im Umfang der Unvereinbarkeit darf die Norm von den Gerichten nicht mehr angewendet werden.

Diese Entscheidung im Original nachlesen

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20030409_1bv…

Stellungnahme des VAMV vom 26.03.2001 Der Gesetzgeber hat die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts durch Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes, zur Registrierung von Vorsorgeverfügungen und zur Einführung von Vordrucken für die Vergütung von Berufsbetreuern vom 23. April 2004 mit Wirkung zum 30. April 2004 umgesetzt und § 1600 BGB und § 1685 BGB entsprechend geändert.