Ausschluss des persönlichen Umgangs eines Elternteils mit seinem Kind
Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 09.06.2004
Norm: Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
Schlagworte:
Elternrecht, Konkordanz der Grundrechte, Ausschluss des persönlichen Umgangs eines Elternteils mit seinem Kind, ablehnende Haltung des betreuenden Elternteils, Belange des Kindes, Konsequenzen aus der Weigerung eines Elternteils, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken
Redaktionelle Zusammenfassung
Der nicht mit der Mutter verheiratete Vater wendet sich mit Erfolg gegen den Beschluss eines Oberlandesgerichts, durch den der persönliche Umgang mit seinem Kind für fast vier Jahre ausgeschlossen wird. Das Bundesverfassungsgericht hob den entsprechenden Beschluss auf und verwies die Sache zur Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück.
Seit ihrer Trennung, die knapp ein Jahr nach Geburt des Kindes erfolgte, streiten die Eltern um das Umgangsrecht. Der Verdacht des sexuellen Missbrauchs des Kindes durch den Vater wurde von einem psychologischen Gutachten nicht bestätigt. Die Mutter verweigerte dem bestellten Verfahrenspfleger den Kontakt mit dem Kind, entzog sich und das Kind einer gerichtlich angeordneten Begutachtung und sperrte sich gegen jeden Kontakt zwischen Vater und Kind. Das Oberlandesgericht entschied, das derzeit zwischen den Eltern bestehende Verhältnis lasse die Durchsetzung der Umgangskontakte nicht zu. Die eigentlichen Ursachen für die derzeitige Situation seien zwar nicht geklärt, aber die zwangsweise Herbeiführung von Umgangskontakten würde in die Mutter-Kind-Beziehung eingreifen, wobei eine Einflussnahme der Mutter auf das Kind nicht ausgeschlossen werden könne. Der persönliche Umgang des Vaters wurde deswegen ausgeschlossen und die Mutter dazu verpflichtet, dem Vater über die Entwicklung des Kindes schriftlich zu berichten.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass dieser Beschluss den Vater in seinem Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz verletzt.
Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz. Beide Rechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der sorgeberechtigte Elternteil muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Die Gerichte müssen sich daher im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte bemühen.
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat das Oberlandesgericht maßgeblich auf die ablehnende Haltung der Mutter abgestellt, ohne die Belange des Kindes und das Elternrecht des Vaters hinreichend zu berücksichtigen. Das Oberlandesgericht hat weder erwogen, dass das Verhalten der Mutter das Wohl des Kindes womöglich gefährden könnte noch erörtert, welche positiven Auswirkungen Umgangskontakte für das Kind haben könnten. Auch hat es das Elternrecht des Vaters, der nach den Ausführungen des Gutachters gute persönliche Voraussetzungen zum Umgang mit Kindern besitzt, gänzlich außer Acht gelassen.
Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch weitgehend die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts. Das Verfahren muss grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Das Oberlandesgericht hat sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts keine zuverlässige Grundlage für eine am Kindswohl orientierte Entscheidung verschafft. Obwohl das Oberlandesgericht ersichtlich davon ausgegangen sei, die erforderliche Sachkunde nicht zu besitzen, habe es ohne nachvollziehbare Gründe von der weiteren Begutachtung Abstand genommen. Es habe sich auch nicht mit der gemäß Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz gebotenen Frage befasst, welche Konsequenzen aus der Weigerung der Mutter, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, für das weitere Verfahren zu ziehen sind.
Bei hinreichender Beachtung des Elternrechts und bei Durchführung der gebotenen Sachermittlung ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Der Beschluss beruht daher auf dem Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz und wurde deshalb vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben.
Diese Entscheidung im Original nachlesen
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040609_1bv…
Konkordanz bedeutet im Verfassungsrecht, dass die widerstreitenden Grundrechtspositionen so gegeneinander abgewogen werden müssen, dass nicht ein Grundrecht auf Kosten des anderen realisiert wird, sondern beide gleichzeitig optimiert werden.