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Orientierung am Kindeswohl bei einstweiligen Anordnungen in Sorgerechtsstreitigkeiten

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 12.06.2007

Norm: Art. 6 Abs. 2 GG, § 32 Abs. 1 BVerfGG

Schlagworte:

Elternrecht, einstweilige Anordnung, Abwägung der Folgen bei Erlass oder Nichterlass einer einstweiligen Anordnung, Orientierung am Kindeswohl

Redaktionelle Zusammenfassung

Die Mutter wendete sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für ihre beiden Kinder auf den Vater der Kinder und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Bundesverfassungsgericht entschied durch einstweilige Anordnung, dass die Kinder bis zur Entscheidung der Hauptsache bei der Mutter bleiben sollen.

Die Eltern sind geschieden. Das Amtsgericht übertrug der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder, das Oberlandesgericht änderte diesen Beschluss ab und übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder auf den Vater. Es begründete diese Entscheidung damit, dass die Mutter nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein verleugnetes Alkoholproblem habe, dessen Entwicklung nicht absehbar sei. Zwar bestehe eine aktuelle Gefährdung der Kinder nicht; wer seine Sucht leugne, verkenne aber die Gefahr der Ausweitung des Kontrollverlusts.

Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall nach § 32 Absatz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg hätte.

In Sorgerechtsstreitigkeiten ist auch zu berücksichtigen, dass die Abwägung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist.

Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, würden die Kinder zunächst weiterhin bei der Mutter in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Würde sich die Verfassungsbeschwerde später als unbegründet erweisen, so wäre der Vater insoweit in seinem Elternrecht eingeschränkt, da sich ein etwaiger Wechsel der Kinder zu ihm zeitlich verzögern würde.

Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, so würden die Kinder von der Mutter, von der sie langjährig betreut wurden, getrennt und in ein neues Umfeld gebracht. Würde sich die Verfassungsbeschwerde später als begründet erweisen, so wäre ein weiterer Wohnortwechsel zurück zur Mutter die Folge. Ein mehrfacher Wechsel des Ortes und der unmittelbaren Bezugsperson beeinträchtigt das Kindeswohl in nicht unerheblichem Maße.

Wägt man die jeweiligen Folgen gegeneinander ab, so wiegen die Nachteile, die dem Vater im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die für die Kinder und die Mutter im Falle des Nichterlasses der einstweiligen Anordnung drohen.

Diese Entscheidung im Original nachlesen

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20070612_1bv…