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Gemeinsame Sorge gegen Willen eines Elternteils - Verfassungsmäßigkeit von § 1626a BGB

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 29.01.2003

Norm: Art. 6 Abs. 2 GG, § 1626 a BGB

Schlagworte:

Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz, gemeinsame Sorge gegen den Willen eines Elternteils, Verfassungsmäßigkeit von § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch, Alleinsorge der Mutter eines unehelichen Kindes

Redaktionelle Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht prüfte die Frage, ob die Regelung des § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch mit dem Grundgesetz vereinbar ist. § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch bestimmt, dass der nicht mit der Mutter verheiratete Vater die gemeinsame Sorge für das Kind nur mit Zustimmung der Mutter bekommen kann. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Regelung grundsätzlich als verfassungsmäßig an, bewertet sie aber insoweit als verfassungsmäßig unzureichend, als eine Übergangsregelung fehlt.

Die Übergangsregelung fehlt für Fälle, in denen nicht miteinander verheiratete Eltern mit ihrem Kind zusammengelebt und für das Kind gemeinsam gesorgt, sich aber vor dem Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform am 01.07.1998 getrennt haben, so dass es ihnen nicht möglich war, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgetragen, bis zum 31. Dezember 2003 für diese Altfälle eine verfassungskonforme Übergangsregelung zu treffen.

Die Gerichte dürfen daher in den Fällen, in denen nicht miteinander verheiratete Eltern mit ihrem Kind längere Zeit zusammengelebt, sich aber vor dem 01.07.1998 getrennt haben, die von einem Elternteil angestrebte gemeinsame Sorge für das Kind nicht aufgrund einer mangelnden Sorgeerklärung nach § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch versagen. Solche Verfahren sind vielmehr auszusetzen, bis eine gesetzliche Neuregelung in Kraft tritt.

Abgesehen von den Altfällen sieht das Bundesverfassungsgericht die Regelung des § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch aber als verfassungsmäßig an.

Sowohl die nicht mit dem Vater verheiratete Mutter als auch der nicht mit der Mutter verheiratete Vater sind Träger des Elternrechtes aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz. Dieses Elternrecht besagt, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht und auch die Pflicht der Eltern ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass allen Müttern und Vätern die gleichen Rechte im Verhältnis zu ihren Kindern eingeräumt werden müssen. Das Elternrecht muss vielmehr durch den Gesetzgeber ausgestaltet werden.

Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und hat sich am Kindeswohl auszurichten. Fehlen die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung, darf der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind zuordnen.

Studien und Statistiken belegen, dass Kinder von nicht miteinander verheirateten Eltern auch heute noch in eine Vielzahl familiärer Konstellationen hineingeboren werden. Angesichts dieser Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse ist es gerechtfertigt, das Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter allein zuzuordnen. Mutter und Kind verbindet durch die Schwangerschaft eine Beziehung, die sich nach der Geburt fortsetzt, während der Vater diese Beziehung nach der Geburt erst aufbauen muss. Die Entscheidung des Vaters, wie er sich zu seinem Kind verhalten will, steht in vielen Fällen bei dessen Geburt noch nicht fest. Die Mutter ist die einzige sichere Bezugsperson, die das Kind bei seiner Geburt vorfindet. Daher entspricht es dem Kindeswohl, wenn die Mutter zur alleinigen Sorgerechtsinhaberin gemacht wird, damit das Kind vom ersten Lebenstag an eine Person hat, die für das Kind rechtsverbindlich handeln kann.

Diese grundsätzliche Zuweisung des Sorgerechts an die Mutter ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil es für die nicht miteinander verheirateten Eltern, die sich darüber einig sind, die Sorge für das Kind gemeinsam übernehmen zu wollen, die Möglichkeit der übereinstimmenden Sorgeerklärung nach § 1626 a Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch gibt.

Sind nicht beide Elternteile mit der gemeinsamen Sorge einverstanden, so darf der Gesetzgeber, belegt durch wissenschaftliche Studien, davon ausgehen, dass eine gegen den Willen eines Elternteiles erzwungene gemeinsame Sorge regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind verbunden und damit nicht dem Wohl des Kindes zuträglich ist.

Dass die Regelung des § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch den Zugang des Vaters zur elterlichen Sorge von der Bereitschaft der Mutter abhängig macht, mit dem Vater gemeinsam die Sorge für das Kind zu tragen, ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen kann auch die Mutter ohne die Bereitschaft des Vaters nicht erreichen, dass die Sorge für das Kind gemeinsam getragen wird.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in den Fällen, in denen die Eltern zumindest anfänglich mit dem Kind zusammenleben und beide ihre Kooperationsbereitschaft durch die gemeinsame tatsächliche Sorge für das Kind zum Ausdruck bringen, diese Eltern in der Regel auch ihre tatsächliche Sorge durch Sorgeerklärungen rechtlich absichern.

Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass der Gesetzgeber annehmen darf, dass eine Mutter, die mit Vater und Kind zusammenlebt, sich nur ausnahmsweise und aus schwerwiegenden Gründen dem Wunsch des Vaters nach einer gemeinsamen Sorge verweigern wird und die Möglichkeit der Verweigerung der Sorgeerklärung nicht als Machtposition gegenüber dem Vater missbraucht. Unter dieser Annahme ist das Fehlen einer gerichtlichen Einzelfallprüfung mit dem Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, zu beobachten, ob diese Annahme in der Wirklichkeit auch zutrifft. Stellt sich heraus, dass dies nicht der Fall ist, muss der Gesetzgeber die Regelungen korrigieren.

In den Altfällen ist das Fehlen einer gerichtlichen Einzelfallprüfung mit dem Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz jedoch nicht vereinbar. Der Unterschied liegt darin, dass es den nicht miteinander verheirateten Eltern, die mit ihrem Kind zusammengelebt und für das Kind gemeinsam gesorgt, sich aber vor dem Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform am 01.07.1998 getrennt haben, nicht möglich war, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben. Diesen Eltern muss der Gesetzgeber die Möglichkeit geben, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob in ihrem Einzelfall das Kindeswohl entgegensteht, wenn die gemeinsame Sorge nach der Trennung gegen den Willen eines Elternteils begründet wird.

Diese Entscheidung im Original nachlesen

http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20030129_1bv…

Vergleiche dazu die Stellungnahme des VAMV vom 19.11.2002 Zum Fortgang des Verfahrens nach Erlass der gesetzlichen Übergangsregelung vergleiche BGH XII ZB 136/04