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Ersetzen der Sorgeerklärung nur bei positiver Feststellung der Kindeswohldienlichkeit

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 15.11.2007

Norm: Art. 224 § 2 Abs. 3 EGBGB, § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB

Schlagworte:

Kein normativer Vorrang der gemeinsamen Sorge, Ersetzung der Sorgeerklärung nur bei positiver Feststellung der Kindeswohldienlichkeit zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, Ersetzung der Sorgeerklärung kann keine gemeinsame elterliche Sorge nur für Teilbereiche begründen

Redaktionelle Zusammenfassung

Der Vater hatte mit seinem Antrag, die Sorgeerklärung der Mutter gerichtlich ersetzen zu lassen, keinen Erfolg. Er wollte damit erreichen, dass die nicht miteinander verheirateten Eltern gegen den Willen der Mutter die gemeinsame Sorge  für ihr gemeinsames Kind übertragen bekämen. Der Bundesgerichtshof bestätigte jedoch die Entscheidung des Oberlandesgerichts, das alleinige Sorgerecht bei der Mutter zu belassen.

Artikel 224 § 2 Absatz 3 bis 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist nicht verfassungswidrig. Es verstößt nicht gegen das Elternrecht eines nicht mit der Mutter verheirateten Vaters, das Kind nach § 1626 a Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch zunächst rechtlich allein der Mutter zuzuordnen, da das Kindeswohl verlangt, dass ab der Geburt eine Person vorhanden ist, die für das Kind rechtsverbindlich handeln kann. Diese grundsätzliche Zuweisung des Sorgerechts an die Mutter ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil es für die nicht miteinander verheirateten Eltern, die sich darüber einig sind, die Sorge für das Kind gemeinsam übernehmen zu wollen, die Möglichkeit der übereinstimmenden Sorgeerklärung nach § 1626 a Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch gibt.

Dass der Zugang des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters zur elterlichen Sorge dadurch von der Zustimmung der Mutter abhängt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Mutter kann ohne die Bereitschaft des Vaters nicht mit ihm die Sorge für das Kind teilen. Beide Eltern erhalten damit gleichermaßen Zugang zur gemeinsamen Sorge nur, wenn sie dies übereinstimmend wollen.

Für Eltern, die sich vor dem 1. Juli 1998 getrennt haben, bestand die Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung nach § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch nicht. Um auch den Elternteilen, die vor der Trennung elterliche Verantwortung getragen haben, aber keine Möglichkeit hatten, mit dem anderen Elternteil eine gemeinsame Sorgerechtserklärung abzugeben, den Zugang zur gemeinsamen Sorge zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber mit Artikel 224 § 2 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch eine Möglichkeit gegeben, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob unter Berücksichtigung des Kindeswohls trotz des Umstandes, das der andere Elternteil nach der Trennung keine gemeinsame Sorge mehr möchte, eine solche begründet werden sollte.

Im vorliegenden Fall hatten die nicht miteinander verheirateten Eltern gemeinsam die elterliche Verantwortung getragen und sich vor dem 1. Juli 1998 getrennt. Die Mutter lehnte nach der Trennung die vom Vater beantragte gemeinsame Sorge ab. Der Vater beantragte, ihre Zustimmung nach Artikel 224 § 2 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu ersetzen.

Das Familiengericht hat auf Antrag eines Elternteils die Sorgeerklärung des anderen Elternteils nach § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch zu ersetzen, wenn die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl dient.

Die Ersetzung erfordert einen positiven Nachweis, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl dient.

Bei seiner prognostischen und wertenden Abwägung nach Artikel 224 § 2 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, ob die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl dient, kann das Gericht - unter Berücksichtigung des Kindeswillens - auf anerkannte Sorgekriterien zurückgreifen, wie gewachsene Bindungen oder die Kooperationsfähigkeit und  -bereitschaft der Eltern. Deshalb ist ein Mindestmaß an Konsens- und Kooperationsfähigkeit der Eltern die entscheidende Voraussetzung für eine gemeinsame Ausübung des Sorgerechts.

Trotz jahrelanger gut funktionierender Umgangsregelungen konnte das Familiengericht keine tragfähige soziale Beziehung oder ein Mindestmaß an Übereinstimmung bei den Eltern feststellen. Das elfjährige Kind hatte in der Anhörung geäußert, bereits Alltagsfragen führten zu heftigen telefonischen Streitereien der Eltern, die sich gegenseitig den Zutritt zu ihren Wohnungen verwehrten. Der Vater stellte in Anwesenheit des Kindes die Erziehungsfähigkeit der Mutter in Frage und äußerte sich abwertend über sie.

Bei seiner Beurteilung, dass die Begründung einer gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl nicht dient, hat das entscheidende Gericht zu Recht auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt. Obwohl in der Vergangenheit das Umgangsrecht im Wesentlichen funktioniert hatte, überstieg nach Ansicht des Oberlandesgerichtes gerade die mit der gemeinsamen Sorge verbundene Erweiterung der Kooperationspflicht die Konsensbereitschaft der Eltern.

Artikel 224 § 2 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch enthält keine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist.

Sofern das Gericht davon überzeugt ist, dass die Eltern auch in absehbarer Zukunft keine gemeinsame Kommunikationsbasis für das Kind betreffende Fragen finden können, darf es davon ausgehen, dass eine Begründung der gemeinsamen Sorge mehr Nachteile als Vorteile für das Kind mit sich bringen würde. In diesem Fall hat es bei der Alleinsorge zu bleiben, auch wenn wichtige Sorgerechtsfragen im Zeitpunkt der Entscheidung nicht anstehen. Bereits das Risiko, dass das Kind durch die Begründung der gemeinsamen Sorge verstärkt dem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt wird, steht regelmäßig der Feststellung der Kindeswohldienlichkeit entgegen.

Die vom Vater hilfsweise beantragte Übertragung von Teilen des Sorgerechts wurde vom Oberlandesgericht abgelehnt und diese Ablehnung wurde vom Bundesgerichtshof im vorliegenden Urteil bestätigt. Die Abgabe von Sorgerechtserklärungen nach § 1626 a Absatz 1 Nummer 1 Bürgerliches Gesetzbuch kann kein partielles gemeinsames Sorgerecht begründen, weder nach dem Wortlaut der Norm noch nach dem Willen des Gesetzgebers. Die Regelung will Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern die gleiche Sorgerechtslage ermöglichen wie Kindern verheirateter Eltern. Auch die miteinander verheirateten Eltern haben von der Geburt des Kindes an das in § 1626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch definierte Sorgerecht vollumfänglich inne. Die Teilung des Sorgerechts durch Entzug oder Übertragung bei nicht nur vorübergehendem Getrenntleben ist den besonders geregelten Ausnahmefällen vorbehalten, die eine gerichtliche Entscheidung erfordern.

Diese Entscheidung im Original nachlesen

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtspr…

Das Verfahren hat bereits mehrere Stadien durchlaufen und unter anderem durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1 BvL 20/99 und 1 BvR 933/01) zu der Übergangsvorschrift des Artikel 224 § 2 Absatz 3 bis 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch geführt (in Kraft getreten am 31.12.2003 durch das "Gesetz zur Umsetzung familienrechtlicher Entscheidungen des BVerfG" vom 13.12.2003).