Elternrecht wichtiger als bestmögliche Förderung des Kindes
Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 08.12.2005
Norm: Art. 6 Abs. 2 GG, § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB
Schlagworte:
Elternrecht, Wohl des Kindes, primäre Entscheidungszuständigkeit der leiblichen Eltern, Aufenthaltsbestimmungsrecht
Redaktionelle Zusammenfassung
Der nicht mit der Mutter verheiratete Vater von zwei Kindern wendete sich gegen einen Beschluss, mit dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht von der allein sorgeberechtigten Mutter auf das Jugendamt übertragen wurde, anstatt auf den Vater selbst. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Ansicht des Vaters, dass er durch die Entscheidung in seinem Elternrecht verletzt sei.
Das entscheidende Gericht hatte gemäß § 1680 Absatz 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch geprüft, ob die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Kindeswohl diene. Es war zu dem Schluss gekommen, dass der Vater zwar grundsätzlich in der Lage sei, normal entwickelte Kinder zu erziehen und zu versorgen. Die besonders qualifizierte Betreuung und Förderung seiner in ihrer Entwicklung gestörten Kinder könne der Vater aber nicht leisten. Für das Wohl der Kinder sei es daher das Beste, in der Pflegefamilie zu bleiben, in der sie das Jugendamt untergebracht hatte.
Das Bundesverfassungsgericht verweist darauf, dass der Gesetzgeber bei der Vorschrift des § 1680 Absatz 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch davon ausgegangen ist, dass in den Fällen, in denen nicht miteinander verheiratete Eltern für ihre Kinder keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben, die Väter vielfach wenig oder gar keinen Kontakt zu ihren Kindern haben. Deshalb wollte der Gesetzgeber den Gerichten ermöglichen, in diesen Fällen eine Entscheidung zum Wohl der Kinder zu treffen.
Diese Voraussetzungen treffen im vorliegenden Fall aber nicht zu, da der Vater über längere Zeit seine beiden Kinder und auch noch die vier anderen Kinder der Kindsmutter nahezu allein versorgt und betreut hatte.
Das Elternrecht des Vaters aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz gebietet es, die Vorschrift des § 1680 Absatz 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch in einer Weise auszulegen, die der primären Entscheidungszuständigkeit der Eltern gerecht wird. Für die leiblichen Eltern stellt die Trennung von ihrem Kind den stärksten vorstellbaren Eingriff dar, der nur bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Zwar stellt das Kindeswohl in der Beziehung zum Kind die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung dar. Das bedeutet jedoch nicht, dass es zur Ausübung des Wächteramts des Staates nach Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz gehört, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Auch wurde die Möglichkeit einer Unterstützung des Vaters durch öffentliche Stellen in Gestalt von logopädischen, therapeutischen und vergleichbaren Hilfen vom entscheidenden Gericht nicht erkennbar berücksichtigt.
Wenn ein nach § 1626 a Bürgerliches Gesetzbuch nichtsorgeberechtigter Vater über einen längeren Zeitraum die elterliche Sorge für die Kinder zwar nicht in rechtlicher, aber in tatsächlicher Hinsicht wahrgenommen hat, ist es nach Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz geboten, § 1680 Absatz 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch dahingehend auszulegen, dass eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater regelmäßig dem Kindeswohl dient, solange nicht konkret feststellbare Kindesinteressen der Übertragung widersprechen.