<p>KLARE ARGUMENTE DAFÜR ODER DAGEGEN</p>
Positionen

KLARE ARGUMENTE DAFÜR ODER DAGEGEN

Unterhaltsrechtsreform macht Kinder arm

Stellungnahme vom 16. November 2007 zum Unterhaltsrechtsänderungsgesetz

Seit zwei Jahren steckt die Reform des Unterhaltsrechts im Gesetzgebungsverfahren fest. Damit stehen die Unterhaltsansprüche von 2,2 Millionen Kindern in Einelternfamilien seit zwei Jahren zur Disposition. Der VAMV hat in seiner Stellungnahme zum Unterhaltsrechtsänderungsgesetz Änderungen gefordert, die jedoch nur zu minimalen Verbesserungen geführt haben. Kinder erhalten nach der Unterhaltsrechtsreform weniger Unterhalt als vorher. Alleinerziehende müssen sich auf massive Einschnitte der Unterhaltsbeträge gefasst machen.

Mit der Änderung der Rangfolge im Mangelfall und einer Festlegung des Mindestunterhalts werden die fatalen Folgen der Reform verschleiert. Das Gesetzgebungsverfahren zieht sich seit zwei Jahren hin und führt zu einem Mangel an Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Es ist Zeit für wesentliche Änderungen, die das Kindeswohl tatsächlich stärken.

Der Mindestunterhalt: Die Minimalisierung des Existenzminimums
Seit vielen Jahren fordert der VAMV einen bundeseinheitlichen Mindestunterhalt für alle Kinder. Die Düsseldorfer und Berliner Tabelle waren bisher eine "Krücke", die dieses Problem einer mangelnden Rechtssicherheit nicht behoben hat. Leider bewirkt der Mindestunterhalt für den Großteil der unterhaltsberechtigten Kinder eine Schlechterstellung, da das Kindergeld zukünftig hälftig angerechnet wird. 95 Prozent der unterhaltsberechtigten Kinder erhalten Unterhalt bis zu 135 Prozent der derzeitigen Regelbeträge. Das heißt, die Mehrzahl der Kinder bezieht zurzeit Unterhalt im Rahmen des vorgeschlagenen Mindestunterhalts. Sie werden von der zukünftigen Verringerung betroffen sein. Die hälftige Anrechnung des Kindergeldes erfolgte bisher erst ab einer Unterhaltszahlung von 135 Prozent des Regelbetrages. Daraus ergeben sich folgende Verschlechterungen:

Grundsätzlich entspricht die Berechnung des kindlichen Existenzminimums nicht den tatsächlichen Aufwendungen für Kinder. Der derzeitige Betrag von 304 Euro wurde seit 1998 nicht mehr erhöht. Die Inflation und die Erhöhung der Mehrwertsteuer fanden keine Berücksichtigung. Ebenso wurden die drastische Erhöhung der Heizkosten und die stetige Anhebung der Ökosteuer nicht in das Existenzminimum eingerechnet. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind die Ausgaben für Kinder seit 1998 um 10,7 Prozent gestiegen. Alle Expert/innen fordern deshalb eine Anhebung des kindlichen Existenzminimums und eine Berechnung anhand eines eigenständigen Warenkorbs für Kinder.

Davon abgesehen ist es politisch das falsche Signal, den Unterhaltsbedarf eines Kindes auf das Existenzminimum festzulegen. Unterhalt wird dadurch mit einer Existenz an der Armutsgrenze gleichgesetzt. Während die betreuenden Elternteile dazu angehalten sind, ihrem Kind die bestmögliche Teilhabe an Bildungschancen, an Kultur, Freizeit und sozialer Integration zu ermöglichen, können sich die unterhaltspflichtigen Elternteile auf die Armutsgrenze zurückziehen.

Es ist inakzeptabel, dass das Existenzminimum für Kinder unter sechs Jahren nur zu 87 Prozent des Regelbetrages berechnet wird. Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gaben Eltern für Kinder bis sechs Jahre durchschnittlich 468 Euro pro Monat aus. Der reduzierte Minimalbetrag für Kinder unter sechs Jahren liegt mit 265 Euro mehr als 200 Euro unter dem, was Kinder tatsächlich verbrauchen. Wenn eine Existenzminimum-Regelung besteht, muss doch der minimale Bedarf für alle Kinder gelten. Die vorgeschlagene Definition führt zu einer Entlastung der Unterhaltspflichtigen, die damit aus der Verantwortung für ihre Kinder genommen werden. Damit wird die politische Richtung, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen, konterkariert.

Die hälftige Anrechnung des Kindergeldes führt zu einer weiteren Reduzierung der Unterhaltsbeträge. Die bisherige Regelung, dass das es nur dann hälftig angerechnet wird, wenn 135 Prozent des Regelbetrages gezahlt werden, fällt ersatz- und kommentarlos weg. Sie führt dazu, dass vielen Kindern nicht einmal das Existenzminimum an Unterhalt gezahlt wird. Das Kindergeld dient in erster Linie der steuerlichen Freistellung des kindlichen Existenzminimums. Es ist eine Rückerstattung zuviel gezahlter Steuern an die Eltern. Das Kindergeld zur Deckung des kindlichen Existenzminimums zu verwenden ist eine unzulässige Anspruchsvermischung von Unterhaltspflichtigen und ihren Kindern.

Es scheint, als wolle der Gesetzgeber mit einer radikalen Minimalisierung der Unterhaltspflichten die Kinder zwar per definitionem aus der Armut führen, nicht jedoch faktisch. Der Effekt ist: Indem der Bedarf der Kinder reduziert wird, sind mehr Kinder in ihren Unterhaltsansprüchen gedeckt und die Staatskasse wird entlastet. Es ist an der Zeit, dass eine echte Verbesserung der prekären finanziellen Lage von Kindern stattfindet. Der VAMV hat dazu das Konzept einer Kindergrundsicherung vorgelegt.

Rangfolge: Die erste Ehefrau sieht alt aus!
Kinder stehen nach den Reformplänen im ersten Rang. Formal sieht das nach einer sinnvollen Besserstellung von Kindern aus. Entscheidend ist aber, dass alle Kinder dann mindestens genauso viel Unterhalt beziehen wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Dies ist nach dem neuen Gesetz nicht der Fall: Die Mehrheit der Kinder bezieht weniger Unterhalt als nach geltendem Gesetz. Dazu kommt, dass Kindesunterhalt nicht den gleichen Steuervorteil wie der Ehegattenunterhalt durch das Realsplitting: In erster Linie verdient die Staatskasse an der neuen Rangfolge.

Die kindbetreuenden Elternteile in den zweiten Rang zu stellen, führt zu einer sinnvollen Gleichstellung all derer, die Verantwortung für Kinder übernehmen. Dennoch bleiben die Voraussetzungen für den Bezug von Betreuungsunterhalt die gleichen. Für nicht verheiratete Mütter gelten nach wie vor erschwerte Kriterien für den Anspruch auf Betreuungsunterhalt. Das führt dazu, dass es einen 2. Rang erster Klasse und einen 2. Rang zweiter Klasse gibt: nämlich den der verheirateten und den der unverheirateten Mutter.

Volljährige Kinder stehen im vierten Rang, sofern Sie nicht bei einem Elternteil wohnen. Wenn Kinder in den ersten Rang gehören, muss das für alle Kinder mit Unterhaltsbedarf gelten. Warum sollen die Unterhaltsansprüche für diese Kinder nachrangig zu denen der Ehegatt/innen stehen? Eine Entscheidung für Kinder endet nicht mit deren Auszug, das wissen alle Eltern. Wenn diese Kinder unter Umständen weder Unterhalts- noch Sozialleistungen beziehen können, wird dies eine neue gesellschaftliche Ungerechtigkeit eröffnen.

Nach der neuen Rangfolge sehen geschiedene Ehefrauen und volljährige Kinder alt aus. Auch betreuende Eltern beziehen im Mangelfall weniger Unterhalt als bisher, und damit steht der Einelternfamilie insgesamt weniger Unterhalt zur Verfügung. 

Erhöhung des Selbstbehalts: "Schatz hier ist Dein Selbstbehalt. Er heißt Hugo und muss mehrmals gewickelt werden!"
Die Unterhaltspflichtigen werden durch die Reform deutlich besser gestellt: Sie können mit einer Erhöhung um bis zu 165 Euro rechnen. Der Selbstbehalt für Unterhaltspflichtige gegenüber dem/der Ehegatt/in soll auf 995 Euro (Erwerbstätige) bzw. 935 Euro (Nichterwerbstätige) aufgestockt werden. Zuvor galt die Grenze von 890 Euro bzw. 770 Euro. Der Bundesgerichtshof hat diesem Vorhaben bereits mit einem Urteil vorgegriffen (Urteil vom 15.03.2006 – AZ XII ZR 30/04). Durch die geänderte Rangfolge wird dies in vielen Fällen dazu führen, dass kaum noch Unterhalt für die betreuenden Eltern bleibt. Mütter und Väter, die ihren Pflichten gegenüber den Kindern durch Betreuung nachkommen, haben keinen Selbstbehalt. Sie sind jederzeit verpflichtet, den Bedürfnissen ihrer Kinder nachzukommen. Aus Sicht des VAMV muss der Selbstbehalt für beide Eltern gelten, er darf nicht unter dem Deckmäntelchen der "Eigenverantwortung" auf dem Rücken der Betreuenden erhöht werden.

Erhöhte Erwerbsobliegenheit der Unterhaltsberechtigten: Der Wunsch ist Vater des Gedankens
Indem der Gesetzgeber bei der erhöhten Erwerbsobliegenheit für Unterhaltsberechtigte auf die Kinderbetreuungsmöglichkeiten verweist, zeigt er einen sehr lobenswerten und fortschrittlichen Ansatz der gleichberechtigten Teilhabe von Müttern und Vätern am Erwerbsleben. Die Existenz sichernde Teilhabe am Arbeitsmarkt ist auch eine langjährige Forderung des VAMV, ebenso die flächendeckende ganztägige Kinderbetreuung. Leider entspricht diese Forderung nicht der Realität: Die ganztägige Kinderbetreuung ist insbesondere in den alten Bundesländern mangelhaft. In der Gesetzesbegründung verweist der Gesetzgeber auf die starke Zunahme der Möglichkeiten der Fremdbetreuung. Daten der DJI-Kinderbetreuungsstudie und die jährliche Berichterstattung zum Tagesbetreuungsausbaugesetz deuten hier auf eklatante Mängel hin: Insbesondere Alleinerziehende benennen nach Angaben des DJI Mängel und Schwierigkeiten beim ganztägigen Angebot. Die Platz-Kind-Relation der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren liegt in den westlichen Bundesländern bei 9,6 Prozent. Nicht einmal jedes zehnte Kind hat damit einen Betreuungsplatz. Bei der Gesetzesformulierung war offenbar der Wunsch der Vater des Gedankens. Es ist aber unzumutbar, dass gesellschaftliche Probleme, wie die Mängel des Arbeitsmarktes und der Kinderbetreuung, auf die Unterhaltsberechtigten abgewälzt werden.

Fazit: Der Staat gewinnt, die Kinder verlieren
Die Unterhaltsrechtsreform ist mit dem Anspruch angetreten, die Kinderarmut zu verringern. Faktisch verringern sich die Unterhaltsbeträge für Kinder. Die Umverteilung, die durch die Rangänderung entsteht, kommt langfristig nicht den Kindern zugute. Kindbetreuende Elternteile und ihre Kinder bilden eine Wirtschaftsgemeinschaft. Wenn der kindbetreuende Elternteil mit dem Argument der Eigenverantwortung auf eine erhöhte Erwerbstätigkeit verwiesen wird und weniger Unterhalt bezieht, ist dies zum Nachteil der Einelternfamilie. Auf Seiten des Staates lässt sich ein deutliches Plus verzeichnen: Indem weniger Unterhaltsvorschussleistungen in Anspruch genommen werden, da der Anspruch der Kinder vorrangig befriedigt wird, findet sich hier eine deutliche Entlastung. Durch die geringeren Beträge, die an betreuende Eltern gezahlt werden, verringert sich der Realsplittingvorteil für Unterhaltspflichtige - auch hier gewinnt die Staatskasse.

Der Unterhaltspflichtige gewinnt durch die Erhöhung des Selbstbehalts.

Der Effekt der Unterhaltsreform ist, dass weniger Unterhalt an diejenigen gezahlt wird, die die Verantwortung für Kinder übernehmen. Ebenso erhalten die Kinder weniger Unterhalt. Die Unterhaltsrechtsreform ist damit für Einelternfamilien der Weg in die Armut.