Familiengerichtliche Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung
Stellungnahme vom 04. Juni 2007 zum Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls
Vorbemerkung
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) nimmt gerne die Gelegenheit wahr, zu dem o.g. Gesetzentwurf Stellung zu nehmen.
Der Gesetzgeber sieht sich in der Pflicht, nachdem die Öffentlichkeit durch mehrere Todesfälle von Kindern und bekannt gewordenen Fällen massiver Kindesvernachlässigung erschüttert wurde und der Ruf nach Gesetzesänderungen zum besseren Schutz gefährdeter Kinder unüberhörbar wurde.
Wie mitgeteilt, basiert der vorliegende Entwurf auf Empfehlungen der Experten-Arbeitsgruppe "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" welche seitens des Bundesministeriums der Justiz im März 2006 eingesetzt worden war.
Der Verband weist jedoch vorab an dieser Stelle darauf hin,
- dass ein Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls nicht mit der beabsichtigten Änderung des FamFG verquickt werden sollte und
- sich der hier zu diskutierende Gesetzentwurf zu orientieren hat an dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag der Bundestagsfraktionen von CDU, CDU und SPD vom 11.11.2005.
Die Arbeitsgruppe "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" hat sich intensiv mit diesem Arbeitsauftrag auseinander gesetzt und Vorschläge unterbreitet. Soweit diese vermischt werden mit dem vorliegenden Referentenentwurf des FGG-Reformgesetzes und beispielsweise dem dort vorgeschlagenen Beschleunigungsgebot in
§ 150 FamFG-E, tritt der VAMV dem Vorschlag jedoch ausdrücklich entgegen.
Zu den Normen im Einzelnen:
Artikel 1
§ 1631 b:
Die beabsichtigte Änderung dient der Klarstellung und ist zu begrüßen.
§ 1666 Abs. 1 BGB: Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls
Der VAMV bewertet es positiv, dass der Passus "missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge" gestrichen wird. Der VAMV schließt sich der Arbeitsgruppe dahingehend an, dass langwierige Nachweise des Sorgerechtsmissbrauchs im Falle der Kindeswohlgefährdung eher hinderlich sind.
Zu begrüßen ist der in den Gesetzestext aufgenommene Hinweis möglicher Sanktionen. Insbesondere auch Ziffer 3 und 4 der benannten gerichtlichen Maßnahmen, welche konkreter Ausfluss des Gewaltschutzgesetzes zum Wohle der Kinder sind, wird begrüßt.
§ 1696 Abs. 3 wird ergänzt:
Für positiv erachtet es der Verband auch, dass das Gericht - wohl erstmals - die eigene Entscheidung selbst nach einem gewissen Zeitablauf auf den Prüfstand stellt, und dadurch Gelegenheit zur Korrektur erhält.
Artikel 2
§ 50e FGG: Vorrang- und Beschleunigungsgebot
Aus Sicht des VAMV sollte der vorliegende Gesetzesentwurf sich auf die Problematik bei Gefährdung des Kindeswohls beschränken.
Einer Vermischung mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf des familienrechtlichen Verfahrensgesetzes wird ausdrücklich widersprochen. Bisher nicht ausdiskutiert/geklärt ist die dort aufgenommene Forderung, Verfahren, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, in jedem Fall vorrangig und beschleunigt durchzuführen.
Unter Verweis auf das kindliche Zeitempfinden und die Gefahr einer Entfremdung durch Verfahrensverzögerung fügt der Gesetzgeber das Gebot der Vorrangigkeit von Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, ein.
Das kindliche Zeitempfinden muss aus Sicht des VAMV jedoch auch dahingehend berücksichtigt werden, dass in Fällen von Gewalt, sexuellem Missbrauch oder anderen traumatischen Erfahrungen eine Stabilisierung der Lebensumstände des Kindes und der Schutz vor Gewalt für den betroffenen Elternteil Vorrang vor einer Beschleunigung des Verfahrens haben müssen. Gerade traumatisierte Kinder und deren Eltern können durch die Beschleunigungsverfahren unnötige Retraumatisierung erleben. Aus der Erfahrung des VAMV wird durch die schnelle Terminierung zudem häufig keine fundierte Berichterstattung des Jugendamts erreicht. Der VAMV weist nachdrücklich darauf hin, dass Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nicht deckungsgleich mit Verfahren sind, die den Aufenthalt des Kindes, Umgang oder Herausgabe des Kindes betreffen. Diese Fälle müssen nicht mit einer Kindeswohlgefährdung einhergehen. Im Gegenteil: dieser Abschnitt betrifft sensible Fragen des Umgangs bei getrennten Eltern, die unter Umständen einer genauen Erörterung bedürfen.
Wir halten es nicht für sachdienlich, hier beide Verfahren zu vermengen. Insbesondere die Begründung, welche für das Beschleunigungsgebot insbesondere in Umgangssachen bisher gegeben wurde, erscheint befremdlich. Müttern in diesem Zusammenhang von Vorneherein absichtliche Umgangsvereitelung in jedem Fall zu unterstellen, wie dies den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, weisen wir zurück. In der Tat ist die Verquickung in
§ 50e Abs. 1 des Umgangsrechts auf der einen und der Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls auf der anderen Seite aus unserer Sicht widersprüchlich.
Wenn in § 1666 Abs. 3 zu Ziff. 3 gerichtliche Maßnahmen aufgeführt sind, welche unter Ziff. 4 u.a. ein Verbot, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen enthält, erscheint es widersinnig, im gleichen Verfahren beschleunigt das Umgangsrecht des Gewalttäters vorrangig regeln zu wollen.
Der VAMV plädiert also dafür, das Beschleunigungsgebot im vorliegenden Gesetzesentwurf ausschließlich auf Verfahren zu beschränken, welche die Gefährdung des Kindeswohls zum Inhalt haben.
Der VAMV stimmt dem Gesetzgeber zu, dass in Fällen einer akuten Kindeswohlgefährdung schnell gehandelt werden muss, rät aber dringend, diese Fälle von den anderen oben genannten zu trennen.
Der VAMV sieht daher folgende Änderungsbedarfe:
1. § 50 e FGG Abs. 1: Ersatz des Absatzes durch folgende Formulierung "Verfahren, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sind unter Wahrung der Belange aller Beteiligten nach Möglichkeit vorrangig und beschleunigt durchzuführen."
2. § 50 e FGG Abs. 2 neu: Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls sind vorrangig und beschleunigt durchzuführen."
2. § 50 e FGG Abs. 2 (alt) / neu Abs. 3: Nach "…die Sache…" soll der Passus "..unter Wahrung der Belange des Kindes und dessen Eltern nach Möglichkeit…" eingefügt werden.
3. § 50 e FGG Abs. 2 (alt) / neu Abs. 3: Der Satz "Das Gericht hört in diesem Termin das Jugendamt an" soll wie folgt ersetzt werden: "Das Gericht hört bei vorliegenden Fakten in diesem Termin das Jugendamt an."
4. § 50 e FGG Abs. 3 (alt) / neu Abs. 4: Ersatz des Begriffs "soll" durch "kann", so dass folgende Formulierung entsteht: "Das Gericht kann das persönliche Erscheinen der Beteiligten anordnen."
§ 50f FGG neu: Erörterung der Kindeswohlgefährdung
In diesem Kontext erscheint es auch sachgerecht, in Verfahren der Kindeswohlgefährdung diese mit den Eltern persönlich und in geeigneten Fällen auch mit dem Kind zu erörtern. Die Einforderung stärkerer Kooperation der Eltern mit den vorhandenen Hilfeeinrichtungen erhält durch das angeordnete Gespräch mit dem Gericht stärkeres Gewicht mit dem Ziel, einer stärkeren Kooperationsbereitschaft der Eltern. Das Gespräch mit dem Kind/Jugendlichen verspricht zudem Chancen, Kindern/Jugendlichen den Ernst der Lage besser vor Augen zu führen und Konsequenzen deutlich zu machen, wenn die Kinder sich dem erzieherischen Einfluss ihrer Eltern weitestgehend entzogen haben. Zu begrüßen ist, dass die Arbeitsgruppe in diesem Zusammenhang empfiehlt, den Familienrichter/innen eine Fortbildungspflicht aufzuerlegen. Im Hinblick auf die vielfältigen, neu eröffneten Möglichkeiten der Einflussnahme und Gestaltung bis zur Führung eines Gesprächs zur "Erörterung der Kindeswohlgefährdung", sind Familienrichter/innen zunehmend auch psychologisch und pädagogisch gefordert. Fortbildung tut also Not. Es ist bedauerlich, dass sich dieser Passus nicht ausdrücklich im Gesetz wieder findet.
Fazit
Der VAMV bewertet das Gesetz insgesamt als Fortschritt im Sinne eines verbesserten Kinderschutzes. Der Gesetzgeber sollte nicht aus den Augen verlieren, dass Familiengerichte Maßnahmen der Jugend- und Familienhilfe nicht ersetzen können. Auf der Qualitätsentwicklung der Einrichtungen der Jugendhilfe muss daher weiterhin das Hauptaugenmerk liegen.
Von einer Vermischung der Fälle von Kindeswohlgefährdung und anderen Familiensachen muss Abstand genommen werden.