<p>KLARE ARGUMENTE DAFÜR ODER DAGEGEN</p>
Positionen

KLARE ARGUMENTE DAFÜR ODER DAGEGEN

Betreuuungsunterhalt für ledige Mütter

Stellungnahme vom 13. Mai 2004 zur Verfassungsbeschwerde 1 BvR 155/98

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e. V. ist mit dem Schreiben vom 8. März 2004 vom Vorsitzenden des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Prof. Dr. Papier, aufgefordert worden, zur oben genannten Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Dieser Aufforderung kommt der VAMV gerne nach und nimmt wie folgt Stellung:

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die Entscheidungen des AG Heidelberg vom 23.04.1997 - Az.: 25 C 286/96 und des LG Heidelberg vom 16.12.1997 - Az.: 4S 22/97. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Norm des § 1615 I BGB.
Gegenstand beider Verfahren war der Anspruch auf Zahlung von Betreuungsunterhalt gemäß § 1615 I Abs. 2 Satz 3 BGB über den hierin festgelegten Zeitraum von drei Jahren nach der Geburt des Kindes hinaus und auf Beiladung des Kindes.

Die Beschwerdeführer/innen Mutter und Kind sehen ihre Rechte aus Art. 1, Art. 3, Art. 6 und Art. 103 GG durch die vorangegangene Rechtsprechung verletzt.

Damit müssen die Entscheidungen des AG und des LG Heidelberg dahingehend überprüft werden, ob sie mit den Grundrechten nach Schutz der Würde des Menschen (Art. 1 GG), der Gleichheit vor dem Gesetz; Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Art. 3 GG), des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG), und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) vereinbar sind. In dem vorliegenden Fall begehrt die Mutter eines nichtehelichen Kindes vom Kindsvater die Zahlung von Betreuungsunterhalt über den gesetzlich festgelegten Zeitraum von drei Jahren hinaus. Der Kindsvater weigerte sich, den geforderten Betreuungsunterhalt auch nach Vollendung des dritten Lebensjahres des gemeinsamen Kindes zu zahlen. Im Vorfeld des Rechtsstreits hatte die Kindsmutter zur Absicherung des Familieneinkommens wieder eine Ganztagsbeschäftigung aufgenommen. Das Kind besuchte in dieser Zeit eine Betreuungseinrichtung. Nach wiederholten Infekten des Kindes hielt es die Kindsmutter für erforderlich, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Auch mit einer Teilzeitbeschäftigung sah sich die Kindsmutter nicht in der Lage, den Sohn so zu versorgen, wie es für seine gesunde körperliche und geistige Entwicklung notwendig wäre. Nunmehr versuchte die Mutter über den Rechtsweg Betreuungsunterhalt für sich vom Kindsvater zu erstreiten. Die Mutter vertrat hierbei zum einen die Auffassung, dass der Anspruch auf Betreuungsunterhalt ein Anspruch des Kindes sei und zum anderen, dass die zeitliche Befristung für den Betreuungsunterhalt laut § 1615 I Abs. 2 BGB gegen den Gleichheitsgrundsatz für eheliche und nichteheliche Kinder verstoße. Die Argumentation der Beschwerdeführer/innen basiert auf der Annahme, dass die Rechte des Kindes nur durch eine ganztägige Betreuung durch die leibliche Mutter selbst hinreichend geschützt werden können. Hieraus begründet sich die Forderung der Beschwerdeführer/innen, den Betreuungsunterhalt über den Zeitraum von drei Jahren hinaus zu erhalten. Von den Beschwerdeführer/innen wird der Betreuungsunterhaltsanspruch als "Reflex" der Rechte des Kindes auf volle und harmonische Entfaltung seiner Persönlichkeit in einer Familie sowie seinen Anspruch auf besonderen Schutz und besondere Fürsorge für eine gesunde Entwicklung gemäß Art. 6 Abs. 2 i. V. mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG verstanden. Damit soll klargestellt werden, dass das Recht auf Betreuungsunterhalt zumindest auch als Reflex auf die Rechte des Kindes zu werten ist. Nach diesem Verständnis müssten eheliche und nichteheliche Kinder auch hinsichtlich der Unterhaltsansprüche ihrer Mütter gleichgestellt werden. Nur so könnten die gleichen Entwicklungschancen von ehelichen und nichtehelichen Kindern garantiert werden. In der Begründung für ihre Ansicht verweisen die Beschwerdeführer/innen darauf, dass die Entscheidung vom 14.07.1981 des Bundesverfassungsgerichts -1 BvL 28/77 u.a.- zum § 1579 BGB analog zum vorliegenden Fall anzuwenden ist. In dieser Entscheidung wird ausgeführt, dass die erforderliche Betreuungsintensität im Wesentlichen durch das Alter sowie die körperliche Entwicklung des Kindes bestimmt wird. Der Bundesgerichtshof legte sich in seinem Urteil vom 21.12.1988 - IV b ZR 18/88- auf ein bestimmtes Alter des Kindes fest. Demnach wird eine Erwerbsoblie-genheit des betreuenden Elternteils verneint, solange das Kind noch nicht acht Jahre alt ist. Beide Entscheidungen bezogen sich auf die Situation von Kindern nach Trennung und Scheidung der Eltern. Damit stellt sich die Frage, inwieweit hinsichtlich der Betreuungsbedürftigkeit minderjähriger Kinder eine unterhaltsrechtliche Gleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Mütter geboten ist. Voraussetzung für den Anspruch auf Ehegattenunterhalt wegen Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ist die Notwendigkeit der Pflege und Erziehung des Kindes. "Die Kinderbetreuung muss nur in dem Sinn kausal für die Nichterwerbstätigkeit sein, dass sich der Betreuende bei Bestehen objektiver Betreuungsbedürftigkeit subjektiv für die Betreuungsaufgabe entscheidet, da es dem unterhaltsbedürftigen Ehegatten grundsätzlich freisteht, ob er das Kind selbst betreuen will oder Betreuungs-möglichkeiten durch Dritte nutzt (BGH NJW 80, 2811; 83, 1427; vgl. Kalthoe-ner/Büttner Rn 353)." Palandt/Brudermüller, § 1570 Rn 5

Während der ersten drei Lebensjahre des Kindes geht der Gesetzgeber von einer Betreuungsbedürftigkeit des Kindes durch die leibliche Mutter aus. Danach besteht zwar die objektive Betreuungsbedürftigkeit des Kindes fort, die Betreuung kann dann aber auch von Dritten übernommen werden. Eine Wahlfreiheit zwischen Eigen- und Fremdbetreuung des Kindes wollte der Gesetzgeber der Mutter eines nichtehelichen Kindes nicht zugestehen. Bei der Ehe handelt es sich um eine Verantwortungsgemeinschaft, die nicht mit deren Auflösung endet. Wie die Eheleute ihre Beziehung, hier insbesondere im Hinblick auf die Betreuung ihres Kindes ausgestalten, obliegt ihrer Wahlfreiheit. Mit dieser Wahlfreiheit der Eheleute sind immer wechselseitige Verpflichtungen verbunden. Auf diese zwingende Verbindung hat der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 11. Februar 2004 (XII ZR 265/02) erneut hingewiesen. Widmet sich ein Elternteil der Betreuung des Kindes und kann damit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, muss der andere Elterteil die finanzielle Versorgung der Familie sicherstellen. Im Regelfall müssen beide Elternteile zur Absicherung des Familieneinkommens einer Erwerbsarbeit nachgehen, so dass die angesprochene Wahlfreiheit oftmals nur ein theoretisches Konstrukt ist. Jedes Kind hat, unabhängig davon, in welcher Familienform es aufwächst, einen eigenen Rechtsanspruch auf Betreuung und Versorgung. Zu klären ist jedoch, wie dieser Rechtsanspruch angemessen ausgestaltet werden kann. Der Besuch einer Kindertagesstätte gehört anerkannter Maßen zum normalen und wünschenswerten Bildungsweg eines Kindes, unabhängig davon in welcher Familienform es aufwächst. In der Regel dient es dem Wohl des Kindes, wenn auch andere Personen wie Erzieher/innen oder Lehrer/innen zeitlich begrenzt die Verantwortung für die Erziehung des Kindes übernehmen. Unzweifelhaft sind Kinderbetreuungseinrichtungen wichtige Bildungs- und Sozialisationsinstanzen. Der Gesetzgeber hat diesem Umstand mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nach dem vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes Rechnung getragen. Damit ist zudem eine wichtige Voraussetzung für die Existenzsicherung von Müttern und Vätern geschaffen. Der Gesetzgeber war und ist zunächst einmal verpflichtet, Müttern und Vätern die Existenzsicherung durch die eigene Erwerbsarbeit zu ermöglichen, statt sie auf Unterhaltsansprüche zu verweisen, von denen zu befürchten ist, dass sie in der Mehrzahl der Fälle nicht oder nur in geringem Umfang realisiert werden können. Eine andere Frage ist in diesem Zusammenhang, ob die gesetzlichen Vorgaben für eine Betreuung von Kindern ab dem dritten Lebensjahr tatsächlich umgesetzt werden und ob diese Leistung ausreichend ist. Im vorliegenden Fall muss neben der Frage nach der objektiven Betreuungsbedürftigkeit auch die nach der formal rechtlichen Umsetzung dieses Anspruchs gestellt werden. Zu prüfen wäre demzufolge, ob es im vorliegenden Fall grob unbillig wäre, wenn den Beschwerdeführer/innen der Betreuungsunterhalt über den Zeitraum von drei Jahren hinaus verwehrt würde. Die Ansprüche auf Betreuungsunterhalt werden im § 1615 I BGB als Ansprüche der Mutter geregelt. Zum einen umfasst er die Bedürftigkeit der Mutter durch Krankheit bzw. körperliche Beeinträchtigung, die im unmittelbaren Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt stehen. Zum anderen den Anspruch, der als Anspruchsvoraussetzung die Bedürftigkeit des Kindes auf Betreuung und Erziehung hat. Beide Ansprüche sind Ansprüche der Mutter. Sie finden ihre Begründung im Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung des Kindes als natürliches Elternrecht und stehen damit unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Die so genannte Billigkeitsklausel soll im Einzelfall sicherstellen, dass der Anspruch auf Betreuungsunterhalt aus bestimmten Gründen über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus gerechtfertigt ist. Eine Verlängerung kommt vor allem aus in der Person des Kindes liegenden Gründen in Betracht. Zu denken ist hier insbesondere an eine dauerhafte Erkrankung oder Behinderung des Kindes. Hierzu wird ausgeführt, dass bei grober Unbilligkeit die Unterhaltsbefristung nochmals durchbrochen werden kann, wenn der nichtbetreuende Elternteil im Extremfall zu dauernden Unterhaltsleistungen verpflichtet ist. Beispielsweise, wenn das Kind behindert und aus diesem Grunde auf eine ständige Betreuung angewiesen ist. Das gilt auch, wenn das Kind zur vollständigen Eingewöhnung in den Kindergarten einer Therapie bedarf (vgl. Palandt, 62. Auflage, § 1615 I Rn. 13). Ob das Kind im vorliegenden Fall zur Eingewöhnung in den Kindergarten einer Therapie bedurft hätte und sich hieraus Ansprüche auf Betreuungsunterhalt ergeben hätten, kann aus der Sicht des VAMV nicht geklärt werden. Der § 1615 I Abs. 2 Satz 3 BGB ist allerdings verfassungskonform auszulegen. D. h. die Anforderungen an die grobe Unbilligkeit als Voraussetzung für eine Verlängerung des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt über die Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes hinaus, dürfen nicht zu hoch angesetzt werden (vgl. Büttner, FamRZ 2000, 781, 786). In Härtefällen wie zum Beispiel bei Erkrankung des Kindes muss ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt auch über das dritte Lebensjahr des Kindes im besonderen Einzelfall möglich sein. Hier muss geltendes Recht auch seine Anwendung finden. Aus der Sicht des VAMV wäre jedoch grundsätzlich zu prüfen, ob Betreuungsunterhaltsansprüche bei schwerwiegender Erkrankung des Kindes nicht Leistungen sind, die im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zu erbringen sind. In der weiteren Argumentation der Verfassungsbeschwerde berufen sich die Beschwerdeführer/innen auf den Gleichheitsgrundsatz, der mit der unterschiedlichen Behandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern beim Betreuungsunterhalt für den hauptbetreuenden Elternteil verletzt wird. Grundsätzlich ist zu überlegen, inwieweit eine weitergehende rechtliche Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern den tatsächlichen Lebensumständen von Eltern und Kindern hinreichend Rechnung trägt. Der Gleichheitsgrundsatz kann seine Anwendung nur insoweit finden, als dass er die unterschiedlichen Lebensbedingungen nicht negiert, sondern Chancengleichheit für alle Kinder bei höchstmöglicher Gleichheit im Recht verwirklicht. Handlungsbedarf sieht der VAMV vor allem in der Ausweitung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Betreuung für Kinder unter drei Jahren. Der geltende Rechtsanspruch für die über 3-Jährigen muss vollständig eingelöst werden. Der Gleichheitsgrundsatz erfüllt sich nach Auffassung des VAMV vor allem in den gleichen Bildungschancen für alle Kinder von Geburt an. Dabei muss es völlig unerheblich sein, in welche Familienform Kinder hineingeboren werden. Die Kindschaftsrechtreform führte weitgehend zu einer rechtlichen Gleichstellung der ehelichen und nichtehelichen Kinder. Diese finden sich beispielsweise im veränder-ten Erb-, Umgangs- und Namensrecht. Die stärkste Ausprägung findet die rechtliche Gleichstellung im neuen Unterhaltsrecht für Kinder. Für den Unterhaltsanspruch von minderjährigen ehelichen und nichtehelichen Kindern gibt es im Unterhaltsrecht keine Rangfolge. Damit richtet sich die Höhe der Unterhaltszahlungen nicht nach der Familienform, in der diese Kinder hinein geboren wurden, sondern nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Nach der Überzeugung des VAMV werden mit der Kindschaftsrechtsreform die Wertentscheidungen aus Art. 6 Abs. 5 GG in rechtlicher Hinsicht weitestgehend umgesetzt. Anders jedoch sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einzustufen, unter denen Kinder aufwachsen und erzogen werden müssen. Wer ein Kind aufzieht, hat nach Überzeugung des VAMV einen Rechtsanspruch auf drei Jahre staatlich finanzierte, einkommensunabhängige Leistungen bis zum vollendeten 16. Lebensjahr des Kindes. Diese Leistungen müssen dem durchschnittlichen Einkommen aller Erwerbstätigen entsprechen und rentenbegründend bzw. steigernd sein. Das Betreuungs- und Bildungsangebot für Kinder aller Altersstufen ist deutlich auszuweiten. Jedes Kind sollte ab seiner Geburt einen eigenen Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz erhalten. Nur mit diesen Maßnahmen kann der Gleichheitsgrundsatz nach Ansicht des VAMV umgesetzt werden. Einer Forderung nach einer Ausweitung des Betreuungsunterhaltsanspruchs für Mütter (Väter) nichtehelicher Kinder über den Zeitraum von drei Jahren hinaus kann sich der VAMV nicht anschließen. Es ist zu befürchten, dass sich ein derartiger Anspruch auf Betreuungsunterhalt in mehrfacher Hinsicht als kontraproduktiv erweisen würde. Zum einen würden vor allem Frauen durch einen erweiterten Betreuungsunterhaltsanspruch viel zu lange vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Daraus würden sich in der Regel erhebliche Nachteile beim Wiedereinstieg ins Berufsleben ergeben. Zum anderen wird mit einer Ausweitung des Betreuungsunterhaltsanspruchs der privatrechtliche Unterhaltsaspekt verstärkt, statt die gesellschaftliche Verantwortung für die Kosten die mit der Erziehung und Versorgung von Kindern verbunden sind, zu betonen. Mit den oben angeführten Maßnahmen stellt der VAMV den Betreuungsunterhaltsanspruch grundsätzlich in Frage und fordert statt dessen: "Menschen, die ihren Lebensunterhalt wegen Kindererziehung, Pflege, Krankheit, Behinderung, Alter, Ausbildung, fehlender Erwerbsmöglichkeiten oder nicht ausreichendem Erwerbseinkommen nicht sichern können, haben Anspruch auf eine staatlich finanzierte Grundsiche-rung, die dem soziokulturellen Existenzminimum entspricht" (vgl. VAMV Familienpoli-tisches Grundsatzprogramm, 2000). Nach Auffassung des VAMV verstößt die Norm aus § 1615 I BGB nicht gegen die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 6 Abs. 2 i. V. mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG. Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 103 GG kann der VAMV nicht feststellen. Der Beschwerdeführer zu 2 ist nicht Anspruchsinhaber des Rechts aus § 1615 l BGB.