<p>KLARE ARGUMENTE DAFÜR ODER DAGEGEN</p>
Positionen

KLARE ARGUMENTE DAFÜR ODER DAGEGEN

Reform des Kinderzuschlages

Stellungnahme vom 29. Mai 2008 zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes

1. Kinderzuschlag: Reform überfällig

Unabhängig von seiner arbeitsmarktpolitisch zweifelhaften Zielrichtung ist der 2005 eingeführte Kinderzuschlag reformbedürftig. Kinder in Einelternfamilien, die fast die Hälfte aller an der Armutsgrenze lebenden Kinder ausmachen, haben bisher von dieser Leistung kaum profitiert. Der Kinderzuschlag ist daher an seinem Ziel, die Armut von Kindern zu bekämpfen, vorbeigegangen. Aus dieser Perspektive ist es begrüßenswert, dass nun eine Reform des Kinderzuschlages angestrebt wird.

Auch wenn der VAMV es grundsätzlich kritisiert, dass Erwerbstätigkeit nicht für die Existenzsicherung von Familien ausreicht und daher den Kinderzuschlag nur als Interimsmaßnahme akzeptieren kann, sollte diese wenigstens der Armut von Einelternfamilien entgegen wirken. Nach Angaben der Bundesregierung (Antwort auf die kl. Anfrage der LINKEN. vom 18.04.2008, BT-Drs. 16/8845) sind derzeit 7 Prozent der Bezieher/innen des Kinderzuschlages alleinerziehend, nach der Reform werden es voraussichtlich 9 Prozent sein. Gut 45 Prozent der Kinder in Bedarfsgemeinschaften, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, sind Kinder von Alleinerziehenden. Diese Verhältnisse legen es nahe, dass derzeit der Kinderzuschlag als Armut vermeidendes Instrument bei der größten Gruppe der von Armut betroffenen Kinder nicht ankommt.

Dem VAMV liegt ein Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU und CSU sowie ein Antrag der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN vor. Unter 2. wird zum Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU und CSU Stellung genommen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN wird unter 3. bewertet.

2. Zu den Normen des Gesetzentwurfs im Einzelnen

Eine Reform des Kinderzuschlags müsste zum Ziel haben, die Kinder in Einelternfamilien zu überproportionalen Anteilen zu erreichen. Daher wird nun im Einzelnen geprüft, ob dies mit den Maßnahmen aus dem Referentenentwurf erreicht werden kann.

§ 6a Abs. 1 Nr. 2 und 3 BKGG-E: Einkommensgrenzen

Eine Vereinfachung und Vereinheitlichung der Einkommensgrenzen zum Erlangen des Kinderzuschlags sind sachgerecht. Die für Alleinerziehende vorgeschlagene Höhe von 600 Euro erscheint im Rahmen der Leistungskonzeption angemessen. Der VAMV stimmt diesem Vorschlag zu.

§ 6a Abs. 1 Nr. 4: Vermeidung der Hilfebedürftigkeit nach §9 SGB II

Insbesondere Alleinerziehende scheitern bei der Beantragung des Kinderzuschlages an der Voraussetzung, dass Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden werden muss. Der Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II führt zu einer Erhöhung der Einkommensgrenze. Alleinerziehende müssten nur wegen des Mehrbedarfes Arbeitslosengeld II (ALG II) beantragen. Damit erreicht der Kinderzuschlag die Alleinerziehenden nicht. Antragsteller/innen wird damit zunächst ein Kinderzuschlag in Aussicht gestellt, da sie die Mindesteinkommensgrenze erreichen, dann jedoch wegen Nichterreichens der Bemessungsgrenze verwehrt.

Eine sinnvolle Alternative wäre es, bei der Vergleichsberechnung den Mehrbedarf nicht zu berücksichtigen. Gemeinsam mit einer Erhöhung des Kinderzuschlages (siehe § 6a Abs. 2 BKGG) und der begrenzten Anrechnung des Kindeseinkommens könnten viele Kinder in Einelternfamilien vom Kinderzuschlag erreicht werden. Damit wäre eine deutlich Armut verringernde effektive Wirkung des Kinderzuschlages gegeben.

Der VAMV fordert daher, den Alleinerziehendenmehrbedarf nach SGB II bei der Vergleichsberechung zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit nach § 6a Abs. 1 Nr. 4 BKGG nicht zu berücksichtigen.

§ 6a Abs. 2 BKGG: Höhe des Kinderzuschlages unverändert, Existenzminimum wird nicht erreicht

Eine wirksame Maßnahme gegen Kinderarmut sollte mindestens  in Verbindung mit dem Kindergeld das steuerliche Existenzminimum von Kindern erreichen. Selbst unter der Annahme, dass dieses derzeit zu niedrig angesetzt ist und noch keine weiteren Beträge für Aufwendungen der soziokulturellen Teilhabe beinhaltet, ist der derzeitige Betrag von 140 Euro zu niedrig. Zudem sieht der Kinderzuschlag keine Altersstaffelung vor. Durch die Erhöhung des Sozialgeldes für Kinder ab dem 15. Lebensjahr würde dies ab diesem Alter dazu führen, dass Hilfebedürftigkeit nicht vermieden wird und der Anspruch auf den Kinderzuschlag entfällt, weil der Kinderzuschlag in seiner Höhe nicht ausreicht (§ 6a Abs. 1 Nr. 4). Diese Altersentwicklung müsste sich daher im Betrag abbilden. Im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Vereinheitlichung von Steuer- Sozial- und Unterhaltsrecht wäre es daher angemessen, den Kinderzuschlag an den Mindestunterhaltssätzen zu orientieren.

Der VAMV fordert daher, den Kinderzuschlag auf die Höhe der Mindestunterhaltssätze abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu erhöhen.

§ 6a Abs. 3 BKGG: Unterhalt wird weiterhin voll auf den Kinderzuschlag angerechnet, Kinder in Einelternfamilien werden benachteiligt

Unterhaltsleistungen für Erwachsene gelten künftig als Einkommen für die Erlangung des Kinderzuschlages. Unterhaltsleistungen für die Kinder werden jedoch voll auf den Kinderzuschlag angerechnet. Damit fallen alle Kinder, die entweder Unterhaltsvorschuss oder Kindesunterhalt beziehen, aus der Förderung des Kinderzuschlages heraus. Der VAMV schlägt im Sinne einer Wirksamkeit des Kinderzuschlages auch für Einelternfamilien vor, Kindesunterhalt und Unterhaltsvorschussleistungen wie Elterneinkommen zu behandeln und beschränkt auf den Kinderzuschlag anzurechnen.

Unterhaltsleistungen sind, wenn sie vom nicht mit dem Kind lebenden Elternteil gezahlt werden, Erwerbseinkommen dieses Elternteils. Würden die Eltern zusammenleben, würde dieses Einkommen, wenn es über die unter § 6a Abs. 4 BKGG genannten Grenzen hinausginge, auch für das Kind aufgewendet. Kinder in Einelternfamilien haben, wenn sie Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss beziehen, dadurch Nachteile, dass sie eventuelle Einkommensüberschüsse des nicht mit dem Kind zusammen lebenden Elternteils als eigenes Einkommen erhalten und dieses in voller Höhe auf den Kinderzuschlag angerechnet wird.

§ 6a Abs. 3 ist daher wie folgt zu fassen:

Einkommen und Vermögen des Kindes wird wie Einkommen und Vermögen der Berechtigten nach § 6a Abs.1 BKGG gemäß § 6a Abs. 4 BKGG behandelt. Dabei werden Unterhaltsleistungen, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und Waisenrenten wie Einkommen aus Erwerbstätigkeit behandelt. Das Kindergeld bleibt unberücksichtigt.

§ 6a Abs. 4 BKGG-E

Die vorgeschlagenen Anrechnungsmodalitäten von Erwerbseinkommen führen zu einer leichten Einkommenssteigerung. Der VAMV stimmt dieser Änderung daher zu. Dennoch darf dies nicht zur Vorstellung führen, die Bezieher/innen des Kinderzuschlages würden die Hälfte ihres überschießenden Einkommens behalten. Durch die Anrechnungsmodalitäten im Wohngeldbezug wird dies in vielen Fällen dazu führen, dass die Bezieher/innen 2 von 10 Euro ihres über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens behalten können.

3. Zum Antrag der Fraktion Bündnis 90 / DIE Grünen: Kinderzuschlag weiterentwickeln

Der VAMV unterstützt den Antrag der Fraktion in folgenden Aspekten:

Die Abschaffung der Mindesteinkommensgrenze als Voraussetzung für den Kinderzuschlag führt zu einer Erweiterung des Kreises der Kinderzuschlag-Bezieher/innen. Alleinerziehende könnten dann auch, wenn Sie unterhalb der Hilfebedürftigkeitsgrenze lägen, den Kinderzuschlag beziehen. Eine einheitliche Bemessungsgrenze erleichtert die Verständlichkeit der Leistung.

  • Die überschlägige Günstigerprüfung bekämpft die Problematik, dass abgelehnte Anträge auf Kinderzuschlag dazu führen, dass die Antragsteller/innen auf Sozialleistungen verzichten.
  • Die anteilige Anrechung übersteigenden Elterneinkommens entspricht den Vorschlägen des Gesetzentwurfes.
  • Eine Erhöhung des Kinderzuschlages ist grundsätzlich sinnvoll. Der VAMV hält die vorgeschlagene Höhe jedoch für zu gering.

4. Fazit
Wenn der Kinderzuschlag als Instrument der Verminderung von Kinderarmut eingesetzt werden soll, muss er für die größte Gruppe der in Einkommensarmut lebenden Familien, die Einelternfamilien, eine sachgerechte Lösung bereitstellen. Eine Besonderheit der Kinder von Alleinerziehenden ist es, dass sie in höherem Maße als Kinder in anderen Familien eigenes Einkommen durch Unterhaltsleistungen erzielen. Diese Besonderheit ist der Tatsache geschuldet, dass in der Regel zwei Elternteile für den Lebensunterhalt von Kindern verantwortlich sind und bei Alleinerziehenden nicht beide Eltern in einem Haushalt leben.

Der VAMV fordert daher, dass die Anrechnungsmodalität des § 6a Abs. 3 BKGG so geändert wird, dass auch Einelternfamilien in angemessener Weise berücksichtigt werden.

Die Regelung des Mehrbedarfs, die für Alleinerziehende nach dem SGB II besteht, sollte bei der Erlangung des Kinderzuschlages nicht zu ihrem Nachteil werden. Daher fordert der VAMV, den Mehrbedarf bei der Vergleichsberechnung zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit auszuklammern.

Der aktuelle Bericht des Kompetenzzentrums familienbezogene Leistungen am BM FSFJ stellt fest, dass häufig erst das Zusammenspiel mehrerer familienbezogener Leistungen dazu beiträgt, dass Alleinerziehende die Armutsrisikogrenze überschreiten. Es muss daher ein vorrangiges Ziel sein, dass Armut vermeidende Instrumente auf Alleinerziehende zugeschnitten sind.

Angesichts der im 3. Armuts- und Reichtumsbericht veröffentlichten Daten zur Armut von Alleinerziehenden muss über eine Armutsbekämpfung speziell für Einelternfamilien nachgedacht werden. Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Zahlen hält der VAMV jede Maßnahme, die zu einer Erweiterung des Kinderzuschlagbezieher/innen-Kreises bei Alleinerziehenden führt, für sinnvoll. Die diskutierte Erhöhung des Kinderzuschlags für Alleinerziehende auf 200 Euro, wie sie in der Stellungnahme des Bundesrates vorgeschlagen wird, findet deshalb die Zustimmung des VAMV.

Dennoch darf dabei nicht aus dem Blick geraten, dass die Armut von Alleinerziehenden in erster Linie ein Problem ist, das der Geschlechterungerechtigkeit bei den Arbeitsmarktchancen, der Lohnentwicklung und einer mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschuldet ist. Auch eine Erhöhung des Kinderzuschlags für Alleinerziehende darf nicht zu einem Nachlassen der Anstrengungen führen, Diskriminierung und Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt abzuschaffen und eine Existenz sichernde Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.