Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes
Stellungnahme vom 21. November 2008 zum Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz - FamLeistG)
Wie schon in früheren Gesetzentwürfen zu familienspezifischen Änderungen im Einkommensteuerrecht wird auch im vorliegenden Entwurf eines Familienleistungsgesetzes zunächst der Eindruck erweckt, Familien im Allgemeinen würden gefördert, also auch Einelternfamilien, was nur sehr eingeschränkt zutrifft.
Der VAMV vertritt die Interessen von 2,6 Millionen Alleinerziehenden mit minderjährigen und volljährigen Kindern. Jede Kindergelderhöhung ging in der Vergangenheit und geht auch dieses Mal entweder ganz oder teilweise an den Alleinerziehenden vorbei. Einelternfamilien werden daher keine oder nur zum Teil Vorteile durch den vorliegenden Entwurf haben.
Das liegt zum einen an der großen Gruppe der Alleinerziehenden im SGB II-Bezug. Ihre Familien mit ca. 800.000 Kindern unter 15 Jahren, profitieren gar nicht von der Kindergelderhöhung, weil sie voll auf den Bedarf im SGB II angerechnet wird. Ca. 500.000 Kinder von Alleinerziehenden, die Unterhaltsvorschuss erhalten, haben ebenfalls nichts von der Erhöhung, weil das UVG einen Abzug in voller Höhe vorsieht.
Zum anderen ist die aus Sicht des VAMV systemwidrige Verknüpfung des Einkommensteuerrechts und des Unterhaltsrechts in Bezug auf die hälftige Anrechnung des Kindergelds auf den Kindesunterhalt Ursache dafür, dass Kindergelderhöhungen bei den Kindern von Alleinerziehenden nur zur Hälfte ankommen. Das gilt für immerhin 2 Millionen Kinder.
Gleichzeitig sind Kinder in Einelternfamilien die größte Gruppe in Armut - wenn der Gesetzgeber also tatsächlich die Intention hat, Armut zu bekämpfen, so sind die vorliegenden Vorschläge denkbar ungeeignet, dieses Ziel zu erreichen.
Der VAMV vermisst einen systemübergreifenden Vorschlag, der die auch der Bundesregierung seit Jahren bekannte Problematik der Verrechnung von Kindergeld im Unterhaltsrecht aufbricht und den Einelternfamilien, in denen die Kinder leben, die gleichen Anteile an Erhöhungen garantiert wie den anderen Familien.
Zu den Vorschlägen im Einzelnen nimmt der VAMV wie folgt Stellung:
1. Kinderfreibetrag
Der Entwurf sieht eine Erhöhung des Kinderfreibetrages um 192 Euro auf 3840 Euro vor. Laut Pressemitteilung der Bundesregierung vom 19.11.2008 wird der Betrag um 216 Euro auf 3864 Euro erhöht.
Ein Großteil der Alleinerziehenden hat ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 900 und 1300 Euro. Nur 1,6 Prozent der Alleinerziehenden erreichen ein jährliches Einkommen, bei dem der Kinderfreibetrag zur Anrechnung kommt. Grundsätzlich bewertet der VAMV die Berechnung des Existenzminimums für Kinder als unzureichend bzw. als nicht am Bedarf von Kindern orientiert und hält seine Verankerung im Einkommensteuer-recht über einen Freibetrag, der sich progressionsabhängig auswirkt, nicht für zwingend verfassungsrechtlich geboten.
(Anteil der Alleinerziehenden mit Nettoeinkommen über 4.500 Euro im Jahr 2006: 1,6 Prozent Quelle: Mikrozensus 2007)
2. Kindergeld
Der Entwurf sieht eine Erhöhung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind um jeweils 10 Euro von 154 Euro auf 164 Euro, für dritte Kinder um 16 Euro von 154 Euro auf 170 Euro sowie für vierte und weitere Kinder um je 16 Euro von 179 Euro auf 195 Euro monatlich vor. Das Kindergeld erreicht damit weiterhin nicht die gebotene Höhe, die eine maximale Entlastung durch den Kinderfreibetrag ergibt.
In seinem Arbeitsbericht "Zukunft für Familie" schreibt das Kompetenzzentrum des BFSJ dem Kindergeld eine besonders hohe Armut vermeidende Wirkung für Alleinerziehende zu.
Für 500.000 Kinder von Alleinerziehenden, die Unterhaltsvorschuss beziehen, trifft das nicht zu. Auch nach der Erhöhung des Kindergeldes erhalten sie keinen Euro mehr, denn das Kindergeld wird voll auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet.
(Zahl der Kinder im Unterhaltsvorschuss: gut 500.000; Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion die Linke BT-Drs: 16/279 vom 15.12.2005, Angabe des BM FSFJ im Jahr 2006: 498.384)
Beispiel:
Eine Alleinerziehende bezieht für ihre beiden Kinder Unterhaltsvorschuss. Das Kindergeld wird zum 1. Januar um zehn Euro pro Kind erhöht. Der Unterhaltsvorschuss wird zeitgleich um acht Euro pro Kind gekürzt. Im Jahr 2009 erhalten die Kinder 192 Euro weniger Unterhaltsvorschuss. Die Kindergelderhöhung wirkt für diese Familie nicht.
Auch für 800.000 Kinder von Alleinerziehenden im SGB II-Bezug trifft die Armut vermeidende Wirkung nicht zu, denn auch auf die Sozialleistungen wird das Kindergeld voll angerechnet.
(Kinder von Alleinerziehenden im SGB II: schätzungsweise 44,5 Prozent, daher etwa 800.000. Angaben des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe 2008)
Beispiel:
Ein Alleinerziehender lebt mit seiner Tochter im SGB II-Bezug. Die Tochter, 4 Jahre, erhält 211 Euro Sozialgeld, von dem allerdings 154 Euro Kindergeld abgezogen werden. Ab 1. Januar 2009 werden davon 164 Euro Kindergeld abgezogen. Die Kindergelderhöhung wirkt auch für diese Familie nicht.
Tatsächlich findet in Bezug auf diese Kinder keine Förderung statt, sondern durch die Erhöhung des Kindergeldes entstehen Mehrkosten, die durch die Minderausgaben bei den Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und bei den Sozial-leistungen nach dem SGB II und SGB XII komplett wieder eingespart werden. Allein
beim Unterhaltsvorschuss belaufen sich die Einsparungen auf insgesamt 60 Millionen Euro (Bund, Länder und Kommunen).
Alleinerziehende, deren Kinder Unterhalt erhalten, erreicht die Kindergelderhöhung nur zur Hälfte. Für diese fast 2 Millionen Kinder gibt es ab 2009 nur fünf Euro mehr Kindergeld, da das Kindergeld zur Hälfte bei allen Unterhaltszahlungen ab dem Mindestunterhalt abgezogen wird und somit beim Unterhaltspflichtigen verbleibt.
(Kinder, die unterhaltsberechtigt sind: insgesamt gibt es 2,1 Millionen minderjährige Kinder in Einelternfamilien, davon schätzungsweise ein kleiner Anteil Halbwaisen, der Rest ist unterhaltsberechtigt, fast zwei Millionen Kinder, Mikrozensus 2007)
Beispiel:
Eine berufstätige Alleinerziehende hat drei Kinder. Wenn das Kindergeld zum 1. Januar 2009 erhöht wird, muss der Vater der drei Kinder pro Jahr 216 Euro weniger Unterhalt bezahlen. Die Kindergelderhöhung kommt bei diesen Kindern nicht voll an, denn die Hälfte des Kindergeldes wird vom Unterhaltsbetrag abgezogen.
Der VAMV lehnt außerdem die Staffelung des Kindergeldes nach der Kinderzahl ab. Jedes Kind hat, unabhängig von seiner Stellung in der familiären Geburtenfolge, den gleichen Anspruch auf Entwicklung und Förderung. Die demographische Implizierung dieser Staffelung ist zudem höchst fragwürdig und sollte dringend überdacht werden. Wenn das Kindergeld eine Existenz sichernde Höhe erreichen würde, wie beispielsweise durch eine Kindergrundsicherung, würde sich die Frage nach der Staffelung des Kindergeldes nicht mehr stellen. Wer versucht, die Staffelung des Kindergeldes nach Kinderzahl als Armut vermeidendes Instrument zu begründen, müsste demnach zunächst das Kindergeld für Alleinerziehende erhöhen. Dies verdeutlicht, dass eine Einteilung des Kindergeldes nach Familienform unangemessen und diskriminierend in jede Richtung wirkt.
Änderungsbedarf:
Der VAMV fordert eine Ausnahmeregelung, die die Anrechnung der aktuellen Kindergelderhöhung durch das Familienleistungsgesetz auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und auf Leistungen nach dem SGB II und SGB XII ausschließt. Ebenso muss die hälftige Anrechnung der aktuellen Kindergelderhöhung auf den Kindesunterhalt ausgeschlossen werden.
Die Entlastung des Unterhaltsverpflichteten geschähe nach Ansicht des VAMV besser durch die steuerliche Absetzbarkeit des Kindesunterhalts. Die steuerliche Ungleichbehandlung von Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt könnte dadurch beendet und der Unterhaltsverpflichtete entlastet werden, ohne dass die betroffenen Kinder die Hälfte des Kindergeldes verlieren.
Grundsätzlich sollte die Bundesregierung erwägen, mit einer Kindergrundsicherung eine Entlastung von Familien vorzunehmen, die nicht im Einkommensteuerrecht angesiedelt ist. Die Unterschiede der Entlastungshöhe pro Kind aufgrund der Steuerprogression lässt sich nicht mit der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren, jedem Kind ungeachtet der Familienform, in der es lebt und unabhängig, wie hoch das Einkommen der Familie ist, in der es lebt, den gleichen Anspruch auf eine Existenz sichernde Leistung zuzugestehen.
3. Schulbedarfspaket
(§ 24a SGB II-E, §28a SGB XII-E) "Zusätzliche Leistungen für die Schule"
Der Entwurf sieht eine zusätzliche Leistung von 100 Euro pro Jahr vor, die Schüler/innen an allgemein bildenden Schulen bis zur Jahrgangsstufe 10 beziehen können, wenn ihre Eltern zum Schuljahresbeginn im SGB II- oder SGB XII-Bezug sind. Die Begründung konkretisiert, dass die Leistung für die Schulausstattung (etwa Schulranzen, Turnbeutel und Blockflöte) verwendet werden solle. Zudem enthält der Entwurf die Option, im Einzelfall zu überprüfen ob die Leistung zweckgemäß verwendet wurde.
Die Einführung einer Zusatzleistung für Kinder im SGB II-Bezug ist ein Eingeständnis, das die Regelsätze zu gering sind. Aus nachfolgenden Gründen kann der VAMV diese Zusatzleistung nur so lange als Übergangslösung befürworten bis ein deutlich erhöhter Regelsatz für Kinder im SGB II festgelegt wird:
Die Zweckgebundenheit der Leistung führt zu einer Kategorisierung von Kindern: In diejenigen, deren Eltern Mittel mit Verwendungszweck zugeteilt werden, was ein grundlegendes Misstrauen in die Fürsorglichkeit armer Eltern ausdrückt und in diejenigen, für die Kindergeld und Kinderfreibetrag erhöht werden und deren Eltern man zutraut, sich ihren Kindern gegenüber fürsorglich zu verhalten. Durch die Beschränkung auf schulpflichtige Kinder werden alle noch nicht schulpflichtigen Kinder benachteiligt. Auch diese Kinder haben einen Bedarf an Bildung und benötigen beispielsweise Matschhosen, Kindergartentäschchen oder Turnbeutel. Jugendliche, die die allgemeine Hochschulreife anstreben, werden durch die Beschränkung "bis zur Jahrgangsstufe 10" von dieser Leistung ausgeschlossen. Die in Deutschland nicht erst seit PISA diagnostizierte soziale Selektion von Bildungsteilhabe wird so erneut verschärft. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo ein Ausgleich besonders notwendig wird, endet die "Zusatzleistung".
Änderungsbedarf
Der VAMV lehnt jede Form der Zweckbindung ab. Die "Zusatzleistung für die Schule" kann allenfalls als Zwischenlösung akzeptiert werden, unter der Prämisse, dass die Regelsätze zeitnah angehoben werden. Jedoch sind auch unter diesen Voraussetzungen zwei Änderungen zwingend notwendig: Die Zusatzleistung für die Schule muss auf Kinder bis zur allgemeinen Hochschulreife ausgedehnt werden. Jede andere Regelung ist nicht akzeptabel. Die Zusatzleistung müsste außerdem auf alle Kinder mit Bildungsbedarf ausgedehnt werden. Auch Kinder in Kindertagesstätten benötigen Ausstattung. Denkbar wäre eine "Zusatzleistung für Bildung".
4. Kinderbetreuungskosten (§9c EStG-E)
Die vorliegende Regelung fasst die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten zusammen. Am Höchstbetrag von wie bisher 4.000 Euro sowie an der Begrenzung auf zwei Drittel der Aufwendungen ändert sich nichts.
Erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten müssen grundsätzlich voll absetzbar sein. Die bereits 2006 beschriebene Begründung, ein Drittel der Betreuungskosten seien nicht erwerbsbedingt, treffen auf die Realität Alleinerziehender nicht zu. Da es sich in der Regelung bereits per Definition um erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten handelt, kann nicht nachträglich ein Drittel herausdefiniert werden.
Vor dem Hintergrund einer dienstleistungsorientierten Wissensgesellschaft ist es zudem abzulehnen, dass Aufwendungen für Unterricht oder die Vermittlung besonderer Fähigkeiten nicht absetzbar sind. In der Praxis hieße das, dass die Kinder während der Erwerbszeit ihrer Eltern ausschließlich "betreut" werden müssten und keine Bildungsangebote in Anspruch nehmen dürften, bzw. dass beim jeweiligen Angebot ein Anteil "Betreuung" herausgerechnet werden müsste.
Änderungsbedarf
Die Deckelung der absetzbaren Kinderbetreuungskosten auf 4.000 Euro sowie die "Zwei-Drittel-Regelung" muss entfallen. Die Definition "erwerbsbedingt" reicht in diesem Zusammenhang aus, um die zusätzlichen Kosten geltend zu machen. Zudem sollte § 9 c EStG-E Abs. 3 Satz 1 gestrichen werden.
5. Haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse und Dienstleistungen
Die Möglichkeit, haushaltsnahe Dienstleistungen von der Steuer abzusetzen, haben die meisten Alleinerziehenden nicht, da sie sich Hilfe im Haushalt finanziell nicht leisten können. Insoweit gehen diese steuerlichen Vorteile für Familien an den Alleinerziehenden vorbei.
6 . Fazit
Der VAMV ist der Ansicht, dass ein Gesetz, das sich die Förderung der Familie auf die Fahne schreibt, alle Familienformen und damit auch die Einelternfamilie fördern sollte. Es darf nicht so ausgestaltet sein, dass gerade die Familien, die wirtschaftliche Stabilität am meisten benötigen, gar nichts oder weniger als andere Familien bekommen. Kinder von Alleinerziehenden sind die größte von Armut betroffene Gruppe und leben durchschnittlich am längsten in Armut. Deshalb fordert der VAMV, dass das Familienleistungsgesetz eine Ausnahmeregelung enthält, die gewährleistet, dass wenigstens die aktuelle Kindergelderhöhung auch bei allen Kindern von Alleinerziehenden in vollem Umfang ankommt.