Änderungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes
Stellungnahme zum Referentenentwurf für einen Beitrag zum Haushaltsbegleitgesetz betreffend das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
Berlin, 26.07.2010. Mit dem vorliegenden Referentenentwurf zu den Änderungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes soll ein Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes geleistet werden. In der Begründung zum Referentenentwurf wird in Absatz I. hervorgehoben, dass Einsparungen nur in den Bereichen gemacht werden, "wo die notwendigen Beschränkungen des Leistungsumfangs familienpolitisch vertretbar vorgenommen werden können". Die Konzeption des Elterngeldes sei damit nicht in Frage gestellt.
Der VAMV beschränkt sich in seiner Stellungnahme auf die geplanten Änderungen, die mittelbar oder unmittelbar Auswirkungen auf Einelternfamilien haben. Das sind die folgenden:
1. Aufhebung der Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) und nach § 6a BKGG (Kinderzuschlag)
2. Absenkung der Ersatzquote ab einem zu berücksichtigendem Einkommen von 1.200 Euro von 67 Prozent auf 65 Prozent
Zu 1. Aufhebung der Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) und nach § 6a BKGG (Kinderzuschlag)
Erwerbstätigkeit
Sowohl im Abschnitt A. "Problem und Ziel" als auch in der "Begründung" wird betont, dass die Aufhebung der Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes beim Bezug von Leistungen nach dem SGB II und nach § 6a BKGG (Kinderzuschlag) zu einer "stärkeren Konturierung des differenzierten Anreiz- und Unterstützungssystems für erwerbsfähige Bezieherinnen und Beziehern von Leistungen nach dem SGB II und dem § 6a BKGG" führe.
Laut Familienreport 2010 ist die Erwerbsmotivation bei Alleinerziehenden im SGB II-Bezug überdurchschnittlich hoch. Anreize zur Erwerbsaufnahme sind nicht vonnöten. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit scheitert meistens an strukturellen Mängeln, da Kinderbetreuungsangebote und flexible Arbeitszeitmodelle fehlen. Zudem ist das Fallmanagement in den JobCentern unzureichend. Die im Referentenentwurf angeführte Argumentation, dass SGB II-Bezieher/innen die Möglichkeit haben, durch Erwerbstätigkeit "weitere Einnahmen zu erzielen, die bei der Berechnung der SGB II-Leistung unberücksichtigt bleiben", ist vor diesem Hintergrund nicht zutreffend.
Regelsätze im SGB II
Des Weiteren heißt es im Referentenentwurf, dass die Anrechnung des Elterngeldes auf die SGB II-Leistungen vertretbar sei, da "der Bedarf des betreuenden Elternteils und des Kindes durch die Regelsätze (...) gesichert" sei.
Am 9. Februar 2010 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder nicht dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entsprechen. Außerdem stellte das Gericht fest, dass der Bedarf von Kindern sich nicht vom Bedarf Erwachsener ableiten lasse. Eine Berufung auf die Bedarfsdeckung durch die Regelsätze nach dem SGB II ist deshalb äußerst fragwürdig.
Zudem hat die Bundesregierung im siebten Bericht über das Existenzminimum von Kindern (2009) den Grundbedarf von Kindern auf rund 500 Euro beziffert. Eine Bedarfsicherung ist bei einem Regelsatz für Kinder in Höhe von 215 Euro, 251 Euro bzw. 287 Euro nicht gegeben.
Kindergeld und Unterhaltsvorschuss
Als vertretbar werden auch deshalb die geplanten Änderungen im Referentenentwurf bezeichnet, da die "Investitionen in die frühkindliche Bildung, das Kindergeld und der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende unangetastet" bleiben.
Kindergeld und Unterhaltsvorschuss sind Leistungen, die Einelternfamilien im SGB II-Bezug nicht erhalten, da sie als Einkommen angerechnet werden. Die Begründung ist damit hinfällig.
Aufstocker/innen
Betroffen von der Anrechnung des Elterngeldes auf die SGB II-Leistung ist auch die Gruppe der Aufstocker/innen. Trotz Erwerbstätigkeit erreicht ihr Erwerbseinkommen nicht das Existenzminimum, so dass sie zusätzlich auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind.
Die Anrechnung des Elterngeldes für diesen Personenkreis ist das falsche arbeitsmarktpolitische Signal, da so Erwerbstätigkeit nicht ausreichend honoriert wird. Aufstocker/innen würden trotz Erwerbstätigkeit noch weniger Elterngeld als bisher erhalten.
Kinderzuschlag
Den Kinderzuschlag (§ 6a BKGG) erhalten erwerbstätige Eltern, die mit ihrem Einkommen den eigenen Lebensunterhalt decken können, nicht aber den ihrer Kinder. Durch den Kinderzuschlag ist es diesen Eltern möglich, nicht auf SGB II-Leistungen angewiesen zu sein.
Auch hier wird durch die Anrechnung des Elterngeldes das falsche politische Signal gesetzt, da Erwerbstätigkeit nicht honoriert wird. Wie dem Referentenentwurf zu entnehmen ist, rechnet das Ministerium zudem mit Mehrausgaben beim Wohngeld, da aufgrund der Aufhebung der Anrechnungsfreiheit zu erwarten ist, dass mehr Anträge auf Wohngeld als bisher gestellt werden. Die Höhe der tatsächlichen Einsparungen ist demzufolge fraglich.
Konzeption Elterngeld
Das Elterngeld hat in seiner Konzeption auch eine sozialpolitische Ausrichtung, nämlich die Anerkennung der Erziehungsleistung und der Ausgleich für finanzielle Einschränkungen im ersten Lebensjahr eines Kindes für alle Eltern.
Der Referentenentwurf konterkariert diese sozialpolitische Ausrichtung. Auf der Homepage des Bundesfamilienministerium heißt es in einem im Mai 2010 publizierten Artikel, dass das Elterngeld "nach der Geburt eines Kindes den notwendigen Schonraum für einen guten Start in das gemeinsame Leben mit dem neuen Familiengeld" schaffe. Schon der Mindestbetrag in Höhe von 300 Euro gewährleistet das nicht. Der VAMV hat bereits in früheren Stellungnahmen zum Elterngeld darauf hingewiesen, dass der Mindestbetrag auf eine existenzsichernde Höhe oberhalb der Armutsgrenze angehoben werden muss.
Zu 2. Absenkung der Ersatzquote ab einem zu berücksichtigendem Einkommen von 1.200 Euro von 67 Prozent auf 65 Prozent
Absenkung der Ersatzrate
Im Referentenentwurf werden die Auswirkungen der Absenkung der Ersatzrate des Elterngeldes von 67 Prozent auf 65 Prozent ab einem zu berücksichtigendem Einkommen von 1.200 Euro als "moderat" und "angemessen" bezeichnet. Der maximale Elterngeldbetrag von 1.800 Euro bleibt unverändert.
Die Absenkung der Ersatzrate betrifft Familien, darunter viele Alleinerziehende, im mittleren Einkommensbereich zwischen einem anzurechnenden Nettoeinkommen von 1.200 Euro und 2.770 Euro monatlich. Zum Beispiel beträgt bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1.500 Euro die jährliche Kürzung 360 Euro. Für Gutverdiener/innen hingegen mit mehr als 2.770 Euro Nettoeinkommen im Monat bleibt der Höchstsatz von 1.800 Euro erhalten.
Fazit
Eine Anrechnung des Elterngeldes auf die SGB II-Leistungen verschärft die vorhandene Armut. Nach den aktuellsten Daten aus dem Jahr 2008 gelten etwa 14 Prozent der Bevölkerung in Deutschland als arm. Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass nur Chancengleichheit von Anfang an nachhaltig Armut verhindern kann. Mit den geplanten Änderungen im BEEG zementiert die Bundesregierung die bereits vorhandene gesellschaftliche Schieflage.
Die Kürzungen betreffen fast ausschließlich eine Gruppe von Frauen und ihre Kinder, deren finanzielle Lage bereits prekär ist. Nicht erwerbstätige Hausfrauen und -männer, die nicht im SGB II-Bezug sind, erhalten den Mindestbetrag hingegen weiter.
Die Regierung widerspricht damit dem Ziel der Chancengleichheit. Die Änderungen haben demzufolge, entgegen der Aussage im Referentenentwurf, sehr wohl Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung. Die Chancengleichheit für Frauen und für alle Kinder würde durch die Gesetzesänderung weiter verschlechtert. Die ursprüngliche Konzeption des Elterngeldes wäre somit grundlegend in Frage gestellt. Zudem ist die Ungleichbehandlung der Erziehungsleistung verfassungsrechtlich bedenklich.